Millionen Tiere fallen Kälte zum Opfer

Der berüchtigte Dzud – krasses Winterwetter sucht Mongolei heim

von Laura Kranich

ARCHIV - 20.03.2016, Mongolei, Uvs: Auf einem Foto vom 6. April 2016 ist ein mongolischer Hirte zu sehen, der einen Viehkadaver entsorgt. Die Mongolei wurde in diesem Winter von einem extremen Wintereinbruch, in der Mongolei «Dzud» genannt, heimgesucht. (zu dpa: «Mongolei: 4,7 Millionen Herdentiere sterben im Extremwinter») Foto: Davaanyam Delgerjargal/epa/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Herdentiere sterben während «Dzud»-Winter

Die Mongolei landet hierzulande eher selten in den Schlagzeilen – und wenn doch, dann ist oft das Wetter schuld. So auch jetzt: Heftige Schneefälle und Kältewellen raffen im zweiten Jahr in Folge Millionen Nutztiere dahin. Doch was steckt hinter dem für viele unbekannten Wetterphänomen des berüchtigten Dzud?

Extremes Winterwetter fordert viele Opfer unter Nutztieren

News Bilder des Tages 230520 -- SUKHBAATAR, May 20, 2023 -- This photo taken on May 20, 2023 shows livestock enduring snow storms in the eastern province of Sukhbaatar, Mongolia. Heavy blizzards and strong dust storms in eastern Mongolia have killed two people, the country s National Emergency Management Agency NEMA said Saturday. A total of 127 people, mostly nomadic herders, went missing in the dust and snow storms that started in the eastern provinces of Sukhbaatar and Khentii on Friday morning, 125 of them have been found alive. Unfortunately, two people have lost their lives in the storms, NEMA said in a statement. /Handout via Xinhua MONGOLIA-SUKHBAATAR-DUST-SNOW STORM Baruun-UrtxBroadcastingxSystem PUBLICATIONxNOTxINxCHN
Auch im letzten Winter gab es in der Mongolei schwere Schneestürme, in denen die Tiere ausharren mussten - hier ein Bild vom 20. Mai 2023 (!)

Der diesjährige mongolische Extremwinter fordert Millionen Opfer unter Nutztieren. Wie die mongolische Notstandskommission kürzlich mitteilte, seien in diesem Winter bereits fast 5 Millionen Tiere Kälte, Schnee und Nahrungsmangel zum Opfer gefallen, ein Anstieg von mehr als 3 Millionen im Vergleich zur Situation vor einem Monat. Es ist bereits der zweite Extremwinter in der Mongolei in Folge, wobei der diesjährige noch heftiger ausfällt als der vorige.

Kräftige Schneestürme haben in den vergangenen Wochen fast 40.000 Kilometer Straßen unpassierbar gemacht und viele ländliche Regionen so praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO seien die Schneefälle in diesem Jahr die höchsten seit 49 Jahren gewesen und 90 Prozent des Landes mit einer dicken Schneedecke bedeckt.

Was ist der Dzud und wie entsteht er?

In der Mongolei bereiten sich Kinder auf ein Pferderennen vor.
Die Mongolei ist auch kulturell ein Land der extremen Gegensätze - viele Menschen leben dort noch sehr ursprünglich als Nomaden.

Der Winter in der Mongolei, eines der am dünnsten besiedelten Länder der Welt mitten auf dem eurasischen Kontinent, kann unerbittlich sein. Gerade einmal knapp über drei Millionen Menschen leben hier auf einer Fläche mehr als viermal so groß wie Deutschland. Die Hauptstadt Ulan Bator ist sogar als kälteste Hauptstadt der Welt bekannt – und das obwohl es dort im Sommer durchaus Temperaturen von fast 40 Grad geben kann. Im Januar steht vor dieser Zahl dagegen auch mal ein Minus. Es ist ein Klima der Extreme, das den Mongolen aufgrund der zentralen Lage ihres Landes auf dem Kontinent praktisch in die Wiege gelegt ist.

So ist es kein Wunder, dass es selbst für tödliche Extremwinter dort ein eigenes Wort gibt: Dzud – auf deutsch soviel wie „Verschlinger“. Durch besonders heftige Kälte und große Schneemassen können die Tiere in dem stark durch Beweidung von Viehherden bewirtschafteten Land über längere Zeit keine Nahrung mehr finden, weshalb sie dann vor allem gegen Ende des Winters in großer Zahl verhungern und erfrieren. Besonders hoch sind die Verluste oft, wenn sich im vorangegangenen Sommer wegen Hitzewellen und Dürren die Tiere kein ausreichend vor der Kälte schützendes Fettpolster anfressen konnten.

Klimawandel spielt eine erhebliche Rolle

Der Polarwirbel: Stabil und kräftig hält er die Polarkälte im Norden gefangen. Schwächt er sich ab oder bringt zusammen, kann die Kälte weit nach Süden vorankommen.
Der Polarwirbel: Stabil und kräftig hält er die Polarkälte im Norden gefangen. Schwächt er sich ab oder bringt zusammen, kann die Kälte weit nach Süden vorankommen.

Doch auch wenn die Mongolen solche extremen und tödlichen Winter kennen – durch den Klimawandel werden sie noch verstärkt. Dass Kältewellen im Winter paradoxerweise durch die Erderwärmung extremer werden können, ist längst bekannt. Auch Schneefälle können durch höhere globale Meerestemperaturen und Luftfeuchte vor allem in Gebieten mit sehr niedrigen Temperaturen deutlich höher ausfallen, was Tieren und Landwirten das Finden von Futter erschweren kann. Zudem kommt es durch einen wegen weniger Meereis in der Arktis immer instabileren Polarwirbel öfter zu weit nach Süden ausgreifenden Kaltlufteinbrüchen. All diese Faktoren können bei den sich wiederholenden Kälteextremen in der Mongolei eine Rolle spielen.

Extremwinter und Dzud-Ereignisse werden deutlich häufiger

HANDOUT - In dem vom Internationalen Roten Kreuz zur Verfügung gestellten, undatierten Foto liegt ein Stück Vieh tot im Schnee in der Mongolei. Wegen eines ungewöhnlich harten Winters in der Mongolei fürchtet das Rote Kreuz um die Existenz von mehr als 150 000 Nomaden und deren Viehherden. (Zu dpa "Wetterphänomen «Dsud» bedroht Nomaden und Vieh in der Mongolei"). ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der Berichterstattung und bei vollständiger Nennung der Quelle: Foto: Mirva Helenius/Internationales Rotes Kreuz/AP/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Harter Winter in der Mongolei (Quelle: Internationales Rotes Kreuz)

Laut der mongolischen Klima-Expertin Zaya Delgerjardal gab es in den vergangenen zehn Jahren bereits sechs Dzud-Ereignisse, wohingegen sie früher nur etwa einmal pro Jahrzehnt auftraten. Und eine bäuerliche Nomadin in ihren 70ern erinnert sich, dass sie nie zuvor in ihrem Leben so hohe Schneemassen wie in diesem Jahr gesehen hat.

Der Klimawissenschaftler Batjargal Zamba vom Mongolischen Forschungsinstitut für Meteorologie, Hydrologie und Umwelt bestätigt: Eisige arktische Luftmassen erreichen wahrscheinlich wegen des schwächelnden Polarwirbels und Jetstreams häufiger die etwa auf gleicher geografischer Breite wie Deutschland und Österreich gelegene Mongolei. Schneefälle treten zunehmend in kurzen aber heftigen Einzelereignissen auf, was dazu führen kann, dass ganze Tierherden in wenigen Stunden unter dem Schnee begraben werden und erfrieren. Zudem verlagert sich die Wintersaison immer weiter nach hinten, was die Bedingungen für Tiere und Menschen weiter erschwert. Dazu kommen erschwerend zunehmende Sommerhitze und Dürren, die solchen harten Wintern vorausgehen.

Seit 1961 haben laut der mongolischen Klimaforscher Winterniederschläge in der Mongolei um durchschnittlich 40 Prozent zugenommen. Sie fallen wegen der ohnehin sehr niedrigen Temperaturen meist als Schnee, der das Sonnenlicht stark reflektiert und somit die Wahrscheinlichkeit für extreme Kälte weiter erhöht. Auch das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) prognostiziert bei einer Erderwärmung um 2 Grad bis zu 20Prozent häufigere Dzuds bis zum Jahr 2080, eine Zahl die vermutlich noch eine konservative Schätzung darstellt.

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(ukr)