Erster Kipppunkt offenbar erreicht

Tschüss, Nemo: Korallenriffe haben keine Chance mehr, sich zu erholen

von Oliver Scheel

Schwere Korallen-Bleiche im Great Barrier Reef
Korallenbleiche. Der Anfang vom Ende einer Koralle.

Die Erderwärmung schreitet voran, offenbar haben wir den ersten Kipppunkt erreicht: Die Korallenriffe wären damit ein für alle mal verloren. Auch bei anderen Kipppunkten wie dem grönländischen Eisschild, Meeresströmungen und dem Regenwald sieht es schlecht aus, so der Bericht über „Global Tipping Points”. Was sind Kipppunkte und wo stehen wir da jetzt?

Es ist schlichtweg zu warm für Korallen

Der „Global Tipping Points Report 2025” wird von der Universität Exeter gemeinsam mit 85 anerkannten Institutionen durchgeführt und benennt die wachsenden Risiken für zentrale Systeme der Erde. Die Korallen leiden schon lange unter den außergewöhnlich hohen Meerestemperaturen. Sie sind nicht besonders hitzetolerant. Die berühmte Korallenbleiche setzt oft ab einer Wassertemperatur von 29 Grad ein. Zwar können viele Korallenarten auch mal 35 oder mehr Grad überleben, aber in dauerhaft warmem Wasser über 30 Grad haben sie keine Chance - sie sterben ab.

Unsere Meere haben viele Jahrzehnte ohne große Konsequenzen CO2 aufgenommen. Das Meerwassersystem ist sehr träge. Jetzt aber scheint ein kritischer Punkt erreicht, unsere Meere werden immer wärmer, sie eilen förmlich von Rekord zu Rekord, egal ob Mittelmeer, Atlantik, Ostsee oder Pazifik. Dazu übersäuern sie, der Sauerstoffgehalt sinkt. Nährstoffeintrag, Sedimentation, Überfischung und Zerstörung von Küstengebieten setzen ihnen zu. Und Korallen können nicht einfach so ihren Standort wechseln. So sind sie der Erderwärmung mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.

Schon jetzt die Hälfte der Riffe verloren

Ein Überschreiten des Kipppunktes würde das Ende der Warmwasser-Korallenriffe bedeuten. Etwa einem Viertel aller Meerestiere und -Pflanzen bieten Korallenriffe Lebensraum an. Fische verstecken sich dort vor Feinden, sie schützen sich dort vor der Strömung und sie finden dort Nahrung. Nicht zuletzt brechen die Riffe auch Wellen und schützen damit die Küstenregionen. Seit 1980 haben wir laut der Initiative „Coral Reef Rescue” bereits die Hälfte der Riffe verloren, bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad könnten bis 2050 70 bis 90 Prozent der Riffe verschwunden sein.

Wird ein Kipppunkt überschritten, dann gibt es kein Zurück mehr. Die Bedingungen sind dann auf Dauer derart verändert, dass der ursprüngliche Zustand nicht mehr hergestellt werden kann. Dies geschieht meist durch sich selbst verstärkende Rückkopplungseffekte.

Was sind Kipppunkte und was passiert da?

Kippunkte gibt es zum Beispiel beim Regenwald, beim grönländischen und dem antarktischen Eisschild oder auch bei den Meeresströmungen. Wie funktioniert ein Kipppunkt? Kurz und vereinfacht erklärt am Beispiel Regenwald: Ist der Regenwald zu einem bestimmten Prozentsatz zerstört, dann verändern sich Verdunstung und Niederschläge so, dass die Lebensbedingungen für einen Regenwald nicht mehr bestehen.

Der Amazonas-Regenwald in Brasilien wird immer weiter abgeholzt oder mit Feuer gerodet.
Auch der Regenwald unterliegt einem Kipppunkt.

„Wir sehen immer mehr Hinweise auf mögliche Kipppunkte in all diesen unterschiedlichen Systemen“, so Sina Loriani vom am Bericht beteiligten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: „Das Risiko steigt, dass wir Rückkopplungseffekte in Gang setzen, die Veränderungen im Erdsystem verstärken und beschleunigen.“ Laut dem Bericht könnte der Amazonas-Regenwald bereits bei geringeren Temperaturen als bislang angenommen stark geschädigt werden, aufgrund des Zusammenspiels von Klimawandel und Abholzung.

„Wir müssen sowohl das Ausmaß als auch die Dauer einer möglichen Überschreitung der 1,5 °C-Grenze so gering wie möglich halten. Jedes Zehntelgrad und jedes zusätzliche Jahr über dieser Schwelle erhöhen das Risiko, unumkehrbare Veränderungen auszulösen “, sagt Nico Wunderling, Forscher am PIK und an der Goethe-Universität Frankfurt.

Die 160 Autorinnen und Autoren des Berichts argumentieren, dass Kipppunkte im Erdsystem durch ihre abrupte und potenziell irreversible Natur ein besonderes Risiko darstellen, das sie von anderen Umweltgefahren unterscheidet – und dass die bisherigen politischen Reaktionen und Entscheidungsprozesse dem nicht gerecht werden.

Schäden sind jetzt schon kaum mehr zu kontrollieren

Die Schäden an Mensch, Material und Finanzen, die wir jetzt schon erleben, sind dramatisch. Und irgendwann werden wir sie gar nicht mehr stemmen können. Jedes Hochwasser, jeder Starkregen erzeugt große finanzielle Schäden. Der ansteigende Meeresspiegel bedroht die größten Metropolen dieser Welt, aber auch kleine Bergdörfer sind wegen des tauenden Permafrosts nicht mehr sicher. Wir sind dabei, unseren Lebensraum so zu verändern, dass die meisten von uns darin nicht mehr leben können.

Vier Monate nach dem Erdrutsch in Blatten
Das zerstörte Schweizer Dorf Blatten nach dem klimawandelbedingten Erdrutsch.

Nur ein schnelles und konsequentes Ende der Treibhausgasemissionen können eine weitere, nicht mehr zu kontrollierende Erwärmung aufhalten. Dabei sehen die Forschenden durchaus Licht am Ende des Tunnels: „Zugleich sind positive Veränderungen zu beobachten, beispielsweise durch Fortschritte bei der Solar- und Windenergie weltweit, bei der Einführung von Elektrofahrzeugen, Batteriespeichern und Wärmepumpen in führenden Märkten. Der Bericht zeigt, dass diese Technologien bereits jetzt die Energiesysteme spürbar verändern”, heißt es in einer Mitteilung.