Die Chronik eines angekündigten Desasters
Gletscher reißt Blatten in die Tiefe
Das idyllische Walliser Dorf Blatten wurde von einer Lawine aus Fels, Eis und Staub verschluckt. Was Experten seit Tagen befürchteten, ist nun eingetreten: Der Birchgletscher ist nach einem massiven Bergsturz kollabiert – mit verheerenden Folgen. Das gesamte Dorf liegt unter Schuttmassen begraben, eine Person gilt als vermisst.
Was als schleichende Gefahr begann, hat sich binnen Sekunden in eine Katastrophe verwandelt. Im schweizerischen Blatten, hoch oben im Walliser Lötschental, ist nach einem massiven Gletscherabbruch nichts mehr, wie es war. Nur Stunden nach dem Unglück liegt das Dorf unter einem Schuttkegel aus Eis, Fels und Staub.
Als der Berg zu schwer wurde – und das Eis nachgab
Seit Tagen hatten Experten ein wachsames Auge auf den Birchgletscher geworfen. Denn oberhalb davon begann der Kleine Nesthorn – ein über 3800 Meter hoher Berg – sich zu lösen. Neun Millionen Tonnen Schutt sammelten sich in kurzer Zeit auf dem Gletscher, drückten auf die Eismassen, destabilisierten das gesamte Gefüge. Am Ende genügte ein Impuls – und der Gletscher kam ins Rutschen.
Der Erdbebendienst registrierte eine Erschütterung der Stärke 3,1. Kurz darauf rollte eine riesige Staubwolke durch das Tal, sichtbar auf Aufnahmen des SRF. Das Dorf Blatten, bereits letzte Woche vollständig evakuiert, wurde unter Geröll und Eis begraben.
Menschen in Sicherheit – einer fehlt
Die gute Nachricht: Fast 300 Menschen konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Die schlechte: Mindestens eine Person wird vermisst. Ob sich noch weitere Opfer unter den Trümmern befinden, ist unklar. Gemeindepräsident Matthias Bellwald sprach sichtlich bewegt: „Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz.“
Murgang droht – neue Gefahr entlang der Lonza
Doch damit ist die Bedrohung noch nicht vorbei. Der Gletscherabbruch hat den Fluss Lonza massiv gestaut – zwei Kilometer lang türmen sich Wassermassen auf. Sollte dieser natürliche Damm brechen, droht eine Mure: ein reißender Strom aus Wasser, Schlamm und Gestein. Noch ist das Szenario unwahrscheinlich, sagen Experten. Aber sicher ist im Lötschental derzeit nichts.
Hilfe auf dem Weg – und Fragen an die Zukunft
Sofort nach Bekanntwerden der Katastrophe reisten Umweltminister Rösti und Verteidigungsminister Pfister ins Tal. Die Armee ist im Einsatz, die Solidarität groß. Auch Bundespräsidentin Keller-Sutter äußerte ihr Mitgefühl. Die ersten Aufgaben: Evakuierungspläne ausweiten, Wassermassen abführen, Schutt sichern.
Geologen sehen im Gletschersturz ein Menetekel. Das Zusammenspiel aus tauendem Permafrost, instabilem Gestein und extremem Wetter – wohl allesamt Folgen des Klimawandels – habe diese Katastrophe ermöglicht. Für die Schweiz und viele andere alpine Regionen ist das ein Weckruf.
Ein Dorf verschwindet – und kämpft um seinen Platz
Blatten ist nicht mehr, wie es war. Doch vielleicht wird es wieder. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern, und ob an alter Stelle, ist offen. Die Menschen im Wallis haben oft mit der Natur gerungen. Auch diesmal scheint der Wille ungebrochen. Bellwalds Worte klingen nach: „Das Herz bleibt.“
Nach dem Gletscherabbruch droht die Flut – nächste Dörfer in Gefahr
Blatten ist zerstört – aber der Alptraum geht weiter. Nach dem massiven Gletscherabbruch am Mittwoch, bei dem Fels- und Eismassen das Dorf unter sich begruben, droht jetzt die nächste Katastrophe im Schweizer Lötschental: eine Flutwelle.
Denn der kleine Fluss Lonza staut sich hinter einem provisorischen Damm aus Geröll und Eis, der durch den Bergsturz entstanden ist. Die Wassermassen wachsen. Sollte sich der Fluss durch das instabile Material fressen, könnte der künstliche Damm kollabieren – mit dramatischen Folgen für die tiefer gelegenen Gemeinden.
Geologe Flavio Anselmetti warnt vor einem möglichen „Seeausbruch mit sehr starken Flutwellen oder Murgängen“. Erste Häuser, die den Gletscherabbruch überstanden, sind bereits vom Wasser zerstört worden.
Die Behörden beobachten die Lage rund um die Uhr. Evakuierungen in den Nachbarorten sind vorbereitet. Die Zeit drängt – denn der künstliche See wächst mit jeder Stunde.
(avo mit dpa)