„Landwirtschaft? Kannst du vergessen!”
Nordatlantikstrom unter Druck: Wenn Deutschland zu Sibirien wird
Europa profitiert enorm vom Golfstrom. Warmes Wasser wird von den Tropen nach Nordeuropa transportiert. Diese Strömung gibt Wärme an die Atmosphäre ab und bereitet uns den Boden für ein mildes Klima. Doch dieses System wankt. Wenn die sogenannte Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) sich verlangsamt oder gar versiegt, drohen uns Konsequenzen, die wir uns gar nicht ausmalen können. Und zwar schon recht bald. Worum geht es genau und was passiert dann mit Europa? Dazu haben wir mit den Wissenschaftlern Stefan Rahmstorf und Frederik Schenk gesprochen.

„Es werden Sachen passieren, die wir bislang nie erlebt haben”
Stefan Rahmstorf ist einer der renommiertesten Klimaexperten unserer Zeit. Der Ozeanforscher präsentierte beim Extremwetterkongress in Hamburg eine Studie, die uns im wahrsten Sinne des Wortes erschauern lässt: Wenn wir weiterhin so viele Treibhausgase in die Atmosphäre blasen, wird sich die AMOC in den kommenden Jahrzehnten stark abschwächen oder gar ganz versiegen. Die Folgen können wir uns kaum vorstellen.
Europa würde sich in nichts anderes als einen Kontinent der Extreme verwandeln. Extrem lange und kalte Winter wechselten sich ab mit heißen und trockenen Sommern. „Wir haben jetzt in Sibirien extreme Kontraste, das würde in diese Richtung gehen. Wie das Wetter dann aussieht, kann heute niemand beantworten. Das ist so weit weg von dem, was wir kennen. Da können wir nur sagen, es werden ungeahnte Sachen passieren, die wir bislang nie erlebt haben”, beschreibt Rahmstorf das Szenario.
„Das ist dann so wie in Sibirien, nur eben jetzt mitten in Europa”

Frederik Schenk blickt bei seinen Forschungen an der Uni Stockholm in die Vergangenheit, um die Zukunft zu simulieren. Er untersucht die zurückliegenden Zusammenbrüche der AMOC anhand von Bohrkernen und Sedimenten. „Es gab schon öfter Verlangsamungen und Zusammenbrüche bei der AMOC”, sagt er. Sie sind nicht komplett vergleichbar, doch sie bieten sehr gute Einblicke in das, was uns erwartet. „Ein Zusammenbruch würde nie dagewesene Extremwetter bei sehr kurzen Vegetationsphasen erzeugen. Ich habe mal einen See simuliert”, erklärt Schenk nicht ohne Begeisterung. „Da sieht man, dass der bis Anfang Juni eisbedeckt ist, obwohl die Sommer sehr, sehr warm sind. Ende September war der See schon wieder zugefroren. Das ist dann so wie in Sibirien, nur eben jetzt mitten in Europa.”
Aber wie wahrscheinlich ist ein solcher Zusammenbruch? Bei Szenarien mit hohen Treibhausgasemissionen, so fand Rahmstorf heraus, liegt die Wahrscheinlichkeit bei satten 70 Prozent. Das ist enorm und das sollte uns unverzüglich zum Handeln bewegen. Denn Europa wird dann nicht mehr so sein, wie wir es kennen. Rahmstorf selbst spricht von einer „existenziellen Krise”: „Es wird große Flüchtlingsbewegungen geben, vielleicht auch in Europa. Ich denke mit Grausen an die Zukunft meiner Kinder.”
Warum ist die AMOC so unter Druck?
Bisher aber verschließen Menschen und Regierungen die Augen vor diesem extremen Wandel: „Die Menschen hoffen halt, das wird schon nicht so sein, aber wenn es passiert ist, ist es zu spät”, so der Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Und vielleicht sehen wir gerade schon die ersten Auswirkungen des Zusammenbruchs. Es hört sich komisch an, aber es sind unsere heißen Sommer. „Das Alfred-Wegener-Institut zeigt, dass Hitzesommer mit besonders kalten Temperaturen draußen im Atlantik korrelieren. Hitzewellen in Europa haben stärker zugenommen als in anderen Regionen und vergleichbaren Breitengraden. Wir können also sagen, wir spüren bereits die Folgen, nur nicht wie in ‘The Day After Tomorrow’, wo es ganz kalt wird. Vielmehr ist Europa zu einem Hotspot für Hitzewellen geworden”, erklärt Rahmstorf.

Warum aber geht die Umwälzströmung eigentlich in die Knie? Vereinfacht gesagt ist es so: Die Gletscherschmelze vor allem vom Grönland Eisschild bringt enorme Mengen an Süßwasser ins Meer, das verringert den Salzgehalt des Meerwassers. Das Absinken des kalten Tiefenwassers wird gestört, die Pumpe gerät ins Stocken. Wenn der Kipppunkt einmal erreicht ist, werden wir für viele Jahrhunderte wegen sich selbst verstärkender Rückkopplungseffekte mit dieser Welt leben müssen. „Das ist sehr bedenklich”, sagt der Forscher in gewohnt nüchternem Ton.
Keine Landwirtschaft, keine Wälder
Bedenklich ist eine sehr höfliche Formulierung für das, was dann kommt. In Skandinavien wird kaum ein Mensch mehr leben können. Auch in Deutschland werden wir vor großen Problemen stehen: „Insbesondere in Skandinavien sind die Menschen schon nervös. Der Zusammenbruch würde praktisch alles ändern, Landwirtschaft können wir vergessen, Forstwirtschaft, die in nordischen Ländern ja sehr wichtig ist, können wir vergessen. Im Prinzip gibt es keinen Grund mehr, da zu leben”, blickt Schenk in unsere mögliche Zukunft. Sein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es in Zeiten einer schwachen oder versiegten Umwälzströmung kaum Wälder in Europa gab. „Es ist nur nicht ganz klar, ob die Wälder eingegangen sind, weil es so kalt wurde oder wegen der Trockenheit.”
Nicht nur Hitze und extreme Kälte werden Mitteleuropa zusetzen. „Man kann sicher sein, dass die Stürme zunehmen werden. Das CO2 steigt ja weiter an. Die Energie ist da, aber der Atlantik kühlt stark ab, dann kriegst du riesige Gradienten und das muss durch Stürme ausbalanciert werden. Das geht gar nicht anders”, erklärt Schenk. Und dieses Szenario kann sich innerhalb von 50 bis 100 Jahren einstellen. Das ist nicht viel. „Es ist ein schleichender Prozess. Vielleicht sind wir da aber schon drin. In den Hitzewellen gab es immer wieder den Zusammenhang zwischen den kalten Meerestemperaturen und den Hitzewellen. Wenn dieser Cold Blob sich ausdehnt oder öfter kommt, gibt es mehr Hitzewellen”, sagt Schenk.
Nach seiner Meinung muss es auch nicht ein kompletter AMOC-Zusammenbruch sein: .In der Vergangenheit hatten auch kleinere Störungen massive Auswirkungen. Ob Rahmstorf recht hat mit einem kompletten Kollaps ist gar nicht so die Frage, weil kleinere Störungen schon gravierende Auswirkungen hatten.”
Was können wir noch tun?
Was macht denn Hoffnung in diesen trüben Tagen? Rahmstorf verweist darauf, dass wir um die Folgen wissen und alle Lösungsmöglichkeiten zur Hand haben: „Wir haben die Technologien, wir müssen nur verhindern, dass die weiter von Interessengruppen ausgebremst werden. Es ist jetzt nicht mehr die Zeit zum Abwarten, es muss voran gehen mit der Energie- und der Verkehrswende”, appelliert er auch an die Politik.
Und wenn es nicht voran geht? Auch hier hilft Schenk mit einem Blick in die Vergangenheit: „Wir wissen von DNA-Analysen, dass die Bevölkerung damals zurückging, aber nicht ausstarb. Viele haben sich in Höhlen zurückgezogen.” Das sind also unsere Aussichten: Wenn wir unseren Lebensstil nicht verändern, landen wir wieder in der Höhle.
(osc)