1,5-Grad-Ziel nicht plausibel
Unser Handeln ist wichtiger als physikalische Kipppunkte
von Amelie von Kruedener

Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius ist derzeit nicht realistisch. Das zeigt eine neue Studie, die analysiert, wie die physischen Veränderungen auf der Erde und gesellschaftliches Handeln zusammenhängen und welche Klimazukunft für uns plausibel und wirklich möglich ist.
Entscheidend für das 1,5-Grad-Ziel ist der soziale Wandel
Klimapolitik, Proteste, Ukraine-Krise: 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prüften für den diesjährigen „Hamburg Climate Futures Outlook“ (CLICCS), wie weit gesellschaftliche Veränderungen auf dem Weg sind – kombiniert mit einer Analyse physikalischer Prozesse, die als Kipppunkte diskutiert werden.
Fazit: Entscheidend für das Einhalten der Temperaturgrenzen von Paris ist der soziale Wandel. Bisher ist der jedoch unzureichend. Vor diesem Hintergrund muss die Anpassung an Klimafolgen anders angegangen werden als bisher.
1,5 Grad scheinen nicht umsetzbar
Die Verknüpfung von gesellschaftswissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Analyse in einer integrierten Studie ist aktuell einzigartig. Im Team haben die Forschenden zehn gesellschaftliche Treiber untersucht. „Tatsächlich kommt in Sachen Klimaschutz einiges in Bewegung. Schaut man sich die Entwicklung der sozialen Prozesse aber im Detail an, ist es nach wie vor nicht plausibel, dass die globale Erwärmung unter 1,5 Grad gehalten werden kann“, sagt CLICCS-Sprecherin Prof. Dr. Anita Engels.
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Unser Konsumverhalten und die Unternehmen sind die Bremsklötze
Vor allem unser Konsumverhalten und das Verhalten von Unternehmen bremsen laut Studie den dringend notwendigen Klimaschutz. Andere Schlüsselfaktoren wie die UN-Klimapolitik, Gesetzgebung, Klimaproteste oder ein Abzug von Investitionen aus der fossilen Wirtschaft unterstützen dagegen die Klimaziele. Wie die Analyse zeigt, reicht ihre Dynamik aber für das 1,5-Grad-Limit nicht aus. „Die notwendige umfassende Dekarbonisierung verläuft einfach zu langsam“, sagt Sozialwissenschaftlerin Engels.
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Diese Kipppunkte haben bis 2050 kaum Einfluss
Darüber hinaus wurden physikalische Prozesse geprüft, die als Kipppunkte im Raum stehen:
- der Verlust des Arktis-Meereises
- das Schmelzen der Eisschilde
- die regionalen Klimaänderungen
Diese Veränderungen sind zwar gravierend, jedoch haben sie auf die globale mittlere Temperatur bis 2050 kaum Einfluss.
Wichtiger sind:
- das Tauen des Permafrosts
- die geschwächte Umwälzpumpe im Atlantik (AMOC)
- das Regenwaldsterben im Amazonas-Gebiet
Diese Faktoren sind eher von Bedeutung – wenn auch nur etwas wichtiger. „Fakt ist: Die gefürchteten Kipppunkte könnten die Rahmenbedingungen für das Leben auf der Erde drastisch verändern – für das Erreichen der Pariser Klimaziele sind sie aber zunächst ohne Belang“, sagt CLICCS-Co-Sprecher Prof. Dr. Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie.
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Klima-Kipppunkte: Kritische Schwellenwerte der Erderwärmung

Innerhalb dieser Werte wird es für die Erde unumkehrbar
- Schmelzen des Grönländischen Eisschilds – von 0,8 bis 3 Grad
- Absterben der Korallenriffe – von 1 bis 2 Grad
- Schmelzen des Eises in der Westantarktis – von 1 bis 3 Grad
- Tauen / Verlust von borealen Permafrostböden – von1 bis 6 Grad
- Abschwächung des Nordatlantikstroms – von1,4 bis 8 Grad
- Waldsterben im Nordpolarkreis – von 1,4 bis 5 Grad
- Schmelzen des Seeeises in der Barentsee – von 1,5 bis 1,7 Grad
- Schmelzen von kontinentalen Gletschern – von 1,5 bis 3 Grad
- Schäden an/Verlust von Amazonas Regenwald – von 2 bis 6 Grad
- Veränderung des Westafrikanischen Monsuns – von 2 bis 3,5 Grad
- Rückgang des Arktisches Winter-Seeeises – von 4,5 bis 8,7 Grad
- Schmelzen des Eises in der Ostantarktis – von 5 bis 10 Grad
Neben schmelzenden Eisschilden gelten auch Meeresströmungen als kritische Kipppunkte. Der Nordatlantikstrom etwa läuft Gefahr, bei 1 bis 3 Grad Celsius Erderwärmung signifikant und unumkehrbar schwächer zu werden, was weitreichende Folgen für Klima und Wetter in Europa und Amerika sowie für die Ökosysteme im Meer hätte.
(Quelle: PIK, Stand: November 2022, in Grad Celsius)
Auswirkungen der Energiekrise noch ungewiss
Auch COVID-19 und der russische Einmarsch in die Ukraine sind Thema der Studie: Staatliche Investitionen, um die Folgen abzumildern, haben in beiden Fällen die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verfestigt, was eine Abkehr von fossilen Energien weniger wahrscheinlich macht als bisher angenommen. Ob die Sicherung der europäischen Energieversorgung und die Bemühungen der Weltgemeinschaft, unabhängig von Gas aus Russland zu werden, die Abkehr von fossilen Brennstoffen unterminiert oder beschleunigt, ist dagegen noch offen.
Die Gesellschaft - also wir! - sind entscheidend

Die größte Chance auf eine positive Klimazukunft liegt demnach in der Handlungsmacht der Gesellschaft. Internationale Initiativen und nicht-staatliche Akteure für den Klimaschutz sind es, die den Unterschied machen können. Proteste, die den Druck auf die Politik aufrechterhalten sind enorm wichtig, so die Forschenden.
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(avo)