Klima-Aktivisten im Fokus
Kleben, Bilder besudeln, Notruf wählen: Gerechtfertigter Protest oder blanker Unsinn?
Ist es noch gerechtfertigter Klima-Protest, wenn jemand den Notruf wählt und die Retter zu einem Notfall eilen, der sich dann als Fake entpuppt? Und wie groß ist der Rückhalt in der Bevölkerung, wenn Gemälde mit Kartoffelbrei beworfen werden, um auf die drohende Klimakatastrophe hinzuweisen? Oder ist das tatsächlich ein logischer Weg, den diese Aktivisten wählen? Weil es um die Aufmerksamkeit geht, die sie erzeugen? Und wie fair ist es, diese Aktivisten hart zu bestrafen? Ein Blick auf beide Seiten der Protest-Medaille.
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Kommt der Protest gut an?

Eher Nein. Laut einer Onlinebefragung von „Spiegel.de“ sagten 86 Prozent der Befragten, dass die aktuellen Klimaproteste zu weit gingen. Wenig überraschend ist, dass die Ablehnung bei den Älteren am größten ist. Aber selbst die Jüngeren sind mehrheitlich dagegen, dass für Protest Gesetze gebrochen werden.
Aber: 53 Prozent der Befragten stimmen darin überein, dass sie die Bundesregierung nicht genug zur Bekämpfung des Klimawandels unternehme. Insofern ist der Bevölkerung mittlerweile sehr wohl bewusst, in welch gefährlicher Situation wir uns in der Klimakrise befinden.
Die Protestform, sich auf einer Straße oder einem Flughafen festzukleben, trifft nun aber die Comfortzone vieler Menschen. Das tut weh und kommt mehrheitlich weniger gut an. Protest okay – aber lasst mich aus dem Spiel. So sieht es derzeit bei den Befindlichkeiten der Deutschen aus.
Ist der Protest gerechtfertigt?
Ja. Und das haben die Aktivisten sogar schriftlich: Das Bundesverfassungsgericht entschied im April 2021, dass das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung zu kurz greife. Es fehlten ausreichende Vorgaben für die Emissionsminderung ab 2031, so die Richter. Das Klimaschutzgesetz verpflichtet dazu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu mindern. Deutschland ist dabei, dieses Ziel krachend zu verfehlen und setzt damit das Überleben der jüngeren Generation aufs Spiel.
Lese-Tipp: Verfassungsgericht urteilt: Klimaschutzgesetz greift zu kurz
Und laut Weltklimarat IPCC müssen Regierungen „jetzt oder nie“ handeln, um das 1,5-Grad-Ziel noch einzuhalten. Die Aktionen der Aktivisten berufen sich gern auf das Widerstandsrecht (Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes). Darin heißt es: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Dieser Artikel wurde für den Ausnahme- oder Notfall geschrieben. Und den sehen die Aktivisten nun eben eingetreten.
Warum machen die das?

Die Letzte Generation nennt sich nicht umsonst so. Sie glauben, dass sie die letzte Generation sind, die noch etwas verändern können, bevor das Klima Kipppunkte erreicht und die Klimakatastrophe unabwendbar wird. Wenn sie jetzt nichts tun, wird die Menschheit möglicherweise sogar auf ihr Ende zusteuern, mindestens aber auf sehr unruhige Zeiten.
Dass die globale Erwärmung katastrophale Ausmaße annimmt, können wir mittlerweile jedes Jahr in vielen Teilen der Welt sehen. Menschen sterben, Arten sterben aus, Menschen verlieren ihren Lebensraum, werden zur Flucht gezwungen, Extrem-Wetterereignisse nehmen zu. All dies passiert mehr oder weniger jeden Tag.
Und die Forderungen der Aktivisten sind nicht utopisch: die Letzte Generation fordert derzeit als ersten Schritt nur die dauerhafte Einführung eines 9-Euro-Tickets und ein Tempolimit.
Protest hat eine andere Qualität
Man kann es schwachsinnig finden, ein Gemälde von Monet mit Kartoffelbrei zu bewerfen, aber es geht der Gruppe um Sichtbarkeit. Protest muss sichtbar sein, sonst ist er unnütz. Wenn nun der Notruf missbraucht wird, hat der Protest eine andere Qualität. Sich für eine Sache einzusetzen, rechtfertigt es nicht, das Leben anderer Menschen damit aufs Spiel zu setzen. Damit verliert der Protest seine Unschuld.
Und wohl auch deshalb haben sowohl die Letzte Generation als auch „Scientist Rebellion“ dementiert, Urheber dieser Aktion zu sein. „Bei all unseren Protestaktionen ist das oberste Gebot, die Sicherheit aller teilnehmenden Menschen zu gewährleisten“, sagte Sprecherin Carla Hinrichs, als es um den Unfalltod einer Radfahrerin ging, zu der die Rettungskräfte nicht schnell genug durchkamen.
Vorsicht: Nicht den Boten bestrafen
Ob die Menschen die Aktionen der Letzten Generation und anderer Aktivistengruppen gut finden oder nicht, ist eine persönliche Sache. Wir sollten aber vorsichtig sein mit dem Urteil über diese Menschen. Mit einer Klima-RAF, wie CSU-Mann Alexander Dobrindt sie nannte, haben sie rein gar nichts zu tun. Sie fordern lediglich, dass die Regierung das tut, was sie ankündigt und was auch das Bundesverfassungsgericht einfordert. Sie sind dabei aber unbequem.
Immer wieder in der Geschichte neigten die Menschen dazu, den Überbringer der schlechten Nachricht zu bestrafen. Sprichwörtlich gibt es bis heute die Hiobsbotschaft. Und ein Buch über Whistleblower Julian Assange trägt nicht umsonst den Titel „Don’t kill the messenger“. Denn Assange ist ja nicht verantwortlich für die Kriegsverbrechen der USA, er hat sie nur der Welt mitgeteilt.
Wenn FDP-Justizminister Marco Buschmann oder die CSU in Bayern die Gesetze verschärfen wollen, um Protest gegen die weiter befeuerte Klimakrise möglichst schon im Vorfeld zu ersticken, dann ist das schlichtweg undemokratisch, denn es gibt ein Recht auf Protest in unserer Demokratie.
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(osc)