Wir führen die falschen Debatten

Klima kommt im Wahlkampf nicht vor - ein teurer Fehler

von Oliver Scheel

Der diesmal sehr kurze Wahlkampf lebt vor allem von zwei Themen: Migration und Wirtschaft. Standen beim vergangenen Wahlkampf 2021 Klimathemen noch ganz oben auf der Agenda, so wird das Wort Klima derzeit von allen Parteien gemieden. Damit punktet man offenbar nicht beim Wähler. Warum das ein teurer Fehler ist und warum wir die falschen Debatten führen, erklärt Oliver Scheel.
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Mehr Wetter-Extreme - Versicherungen warnen vor Ausfall

Nur weil wir nicht mehr über das Klima reden, hört die Erderwärmung nicht auf. Im Gegenteil: Die Serie der zu warmen Monate setzt sich fort, der Januar war der heißeste weltweit seit Messbeginn. Wie verletzlich aber auch die erste, die reiche Welt ist, zeigten zuletzt die verheerenden Brände von Los Angeles, bei denen prominente und erfolgreiche Menschen ihre Heimat verloren.

Doch immer noch glauben viele Politiker, meist aus den Reihen von CDU und FDP, dass laxe Umweltauflagen gut die Wirtschaft seien. Das kann man leicht beim Umgang mit dem Lieferkettengesetz und dem PFAS-Verbot sehen, die verwässert und aufgeweicht wurden. Das ist aber ein Irrglaube und ein teurer noch dazu. Denn die nächste Ahrflut kommt bestimmt. Auch in Deutschland werden Wetter-Extreme häufiger – und vor allem teuer. So teuer, dass Versicherungen davor warnen, die Erderwärmung könne dazu führen, dass entweder Häuser nicht mehr versichert würden oder die Policen so hoch seien, dass die Bewohner sie sich nicht mehr leisten können. Auch in Deutschland.

Klimaschutz ist immer auch Schutz vor Migration

ARCHIV - 09.08.2022, Ukraine, Zghurivka: Ein Mähdrescher erntet Weizen. Russland sperrt sich gegen eine Verlängerung des Abkommens zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer. Ein Auslaufen der Initiative hätte schwere Konsequenzen - für ärmere Länder und für die Welt. Das Abkommen endet am 17.07.2023 um Mitternacht Ortszeit (23.00 Uhr MESZ). Foto: Efrem Lukatsky/AP +++ dpa-Bildfunk +++
Die Preise für Lebensmittel werden auf dem Weltmarkt gemacht. Je mehr Land wir zum Ackern verlieren, umso teurer wird es auch in deutschen Supermärkten.

Das Hochwasser in Bayern war unter den zehn teuersten Naturkatastrophen weltweit im Jahr 2024. Die Überschwemmungen Anfang Juni 2024 erzeugten Versicherungskosten von etwa 4,45 Milliarden Dollar, berichtet die Hilfsorganisation Christian Aid. Die Schäden der Hurrikan-Saison beliefen sich demnach auf 180 Milliarden Dollar! Wie viele Windräder könnten wir davon bauen? Bei angenommenen Kosten – und das ist eher hoch gegriffen – von 2 Mio. pro Windrad wären das 90.000 Windräder. Zum Vergleich: In ganz Deutschland stehen knapp 30.000. Wer sagt, die Energiewende sei teuer?

Viele Wirtschaftszweige haben es längst begriffen, dass wir unser Energiesystem umbauen müssen. Sie warten auf die Unterstützung der Politik. Das Zurücknehmen von Maßnahmen, wie es nun gerade Donald Trump in den USA im großen Stil macht und was die CDU beispielsweise beim Gebäudeenergiegesetz plant, ist schlichtweg Gift für alle Investoren und damit auch die Wirtschaft.

Darüber hinaus verkennen all jene, die meinen, Deutschland geht es besser, wenn wir unsere Grenzen bewachen, dass der Klimawandel nicht an der Grenze Halt macht. Man kann sogar sagen, dass die Erderwärmung als Mutter aller Krisen angesehen werden kann. Denn wenn in der Sahelzone nichts mehr wächst, wenn Bangladesch im Meer versinkt, dann werden diese Menschen fliehen. Insofern ist Klimaschutz auch immer Migrationsprävention. Und: Wenn die Ernten geringer ausfallen, erhöhen sich die Preise für Lebensmittel. Auch in Deutschland, denn die Preise werden auf dem Weltmarkt gemacht. Das haben wir gut sehen können, als der ukrainische Weizen nach dem russischen Überfall eben nicht mehr auf dem Markt landete. Oder zuletzt bei den Kaffee- oder Kakaopreisen. Klimaschutz hält also auch die Preise im deutschen Supermarkt niedrig.

Wir führen die falschen Debatten

Zu Beginn des Wahlkampfs haben selbst die Grünen das Wort Klima tunlichst vermieden. Jetzt legen sie zwar nach, doch viele Parteien lenken den Fokus weiterhin auf fehlgeleitete Debatten. E-Fuels, Atomkraft, Wasserstoff. Das sind allesamt Themen, mit denen vage Zukunftsversprechen gemacht werden, die aber in der Realität nur den fossilen Interessen dienen. Wir brauchen kein Verbrenner-Aus wegen E-Fuels, wir brauchen nicht mehr Windenergie wenn wir Atomkraft haben, wird uns erzhält. All diese Debatte gehen aber an der Realität vorbei. Zum einen wegen der völlig ungeklärten Kosten, zum zweiten weil wir JETZT die Transformation erledigen müssen. Jetzt haben wir aber keine Atomkraft und keine E-Fuels, Wasserstoff ebensowenig.

„Um es klar zu sagen: Die E-Fuels Alliance ist nur eine Fassade für die Ölindustrie. Es geht nur darum, Verwirrung zu stiften, um den Übergang zu Elektroautos zu verzögern“, sagte Lucien Mathieu vom Thinktank Transport & Environment. „Es handelt sich um eine höchst fragwürdige und irreführende Lobbystrategie, die auf dem unlauteren Versprechen aufbaut, dass ein viel zu teurer Kraftstoff bald getankt werden könne“, ergänzt Christina Deckwirth von Lobbycontrol.

Atomkraftwerke machen in erster Linie durch exorbitante Kosten von sich reden

Charly Triballeau
Das Atomkraftwerk im französischen Flamanville ist eine Geschichte voller Fehlschläge.

Ähnlich verhält es sich bei der Atomkraft. In Frankreich ist das Kernkraftwerk Flamanville nach 17-jähriger Bauzeit und mit 12 Jahren Verspätung ans Netz gegangen. Aus den geplanten 3,3 Milliarden Euro Baukosten wurden 13,2. Nun wurden Schwachstellen im Stahl des Reaktordeckels entdeckt. Stillstand. Ganz ähnlich verlief der Bau des AKW Olkiluoto in Finnland. An diesem AKW wurde 18 Jahre gebaut, es sollte 2009 fertig sein, es wurde 2023 fertig. Auch hier vervierfachten sich die Kosten auf rund 11 Milliarden Euro. Und da sind die Rückbaukosten und die Endlagerung des Atommülls ja noch nicht mit eingerechnet. Wer kommt dafür auf? Wenn wir in Deutschland wieder AKW’s bauen, dann sind die 2045 fertig. Da müssen wir aber fertig sein mit der Transformation unseres Energiesystems. Ganz abgesehen davon werden wir ohne russisches Uran kaum auskommen. Vorsichtshalber ist Uran schonmal von der Sanktionsliste ausgenommen.

Und beim Wasserstoff? Da werden in erster Linie große Sprüche geklopft. Mit Wasserstoff heizen, mit Wasserstoff fliegen. Die Realität sieht so aus: 2023 wurden gerade einmal sieben Prozent der angekündigten Wasserstoffproduktion realisiert. Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagt: „Grüner Wasserstoff wird aufgrund fehlender Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft Schwierigkeiten haben, die hohen Erwartungen zu erfüllen.“ Wer – wie vor allem die FDP – immer weiter vom goldenen Zeitalter der E-Fuels und des Wasserstoffs spricht, der verkennt entweder die Realität oder lügt.

Das sagen die Parteien über den Klimaschutz

In diesem Wahlkampf bleibt also ganz offenbar die Wahrheit auf der Strecke. Die Parteien trauen sich nicht, den Menschen zu sagen, dass es teuer wird. Bei der Rente, bei der Pflege, bei der Infrastruktur, beim Heizen und beim Autofahren und so eben auch beim Klimaschutz. Vor uns stehen gewaltige Herausforderungen, die wir nur ehrlich und vor allem mit staatlicher Unterstützung schaffen können.

Was aber haben die Parteien denn eigentlich in ihren Programmen stehen? Hier zum Schluss ein kurzer Überblick:

CDU/CSU:

  • Pariser Klimaziele einhalten bis zur Klimaneutralität im Jahr 2045
  • Klimabonus zum Ausgleich steigender CO2-Preise
  • Artenschutz
  • Wiedervernässung von Mooren als CO2-Speicher

SPD:

  • "Klimaschutz, den sich jeder leisten kann" - bedeutet die Auszahlung eines Klimagelds
  • Unterstützung der Menschen, die sich E-Autos und neue Heizsysteme nicht leisten können

Grüne:

  • Einführung eines Klimagelds angesichts der steigenden CO2-Preise
  • Strom aus Erneuerbaren fördern
  • Kohleausstieg bis 2030

AfD:

  • Ausstieg aus Pariser Klimaabkommen, Ausstieg aus „EU Green Deal“
  • „Einseitige Bevorzugung von Elektromobilität" beenden
  • Subventionen für Klimaschutz streichen

FDP:

  • Klimaneutralität erst 2050
  • Kein Verbrenner-Aus
  • Globaler CO2-Preis wird angestrebt, andere Regulierungen können dann weg
  • Die Einnahmen aus dem Emissionshandel sollen als „Klimadividende“ ausgezahlt werden

Linke:

  • Günstiger ÖPNV
  • Superreiche und Konzerne sollen Last der Energiewende tragen
  • Verbindliche Sektorziele (Verkehr und Heizen) für den Klimaschutz
  • Unterstützung des globalen Südens

BSW:

  • CO2-Preis abschaffen
  • Subventionen für Erneuerbare streichen
  • Mehr fossile, vermeintlich günstige Energie importieren
  • Investment in CO2-Speicherung, Förderung von PV auf öffentlichen Gebäuden

(osc)