Eismassen verschwinden dann komplett

Interview mit Stefan Rahmstorf: Wenn Kipp-Punkte überschritten sind, gibt es kein Zurück mehr

von Oliver Scheel

Stefan Rahmstorf forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) über die Eismassen der Antarktis und der Arktis. Er spricht im Interview mit Clara Pfeffer über Kipppunkte im Erdsystem. Was passiert, wenn wir die Kipppunkte überschreiten? Möglicherweise sind manche dieser Kipp-Elemente bereits überschritten. Was können wir jetzt noch tun?

Das ganze Interview könnt ihr oben im Video schaue
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Was sind Kipp-Punkte und welche Konsequenzen haben sie in der Antarktis und der Arktis?

HANDOUT - 14.01.2024, ---, Antarktis: Das Bild zeigt den Eisberg A23a. Spektakuläre neue Bilder vom derzeit weltweit größten Eisberg zeigen, wie Erosion riesige Bögen und höhlenartige Vertiefungen in den Koloss gemeißelt hat. (zu dpa «Größter Eisberg der Welt: Fotos zeigen Eisschmelze») Foto: Ian Strachan/Eyos Expeditions/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Der derzeit größte Eisberg der Welt A23a treibt über das Meer. Wenn die Westantarktis eisfrei würde, bedeutete das einen Anstieg des Meeresspiegels um 3 Meter.

„Die Kipppunkte sind in erster Linie Bedrohungen für uns“, sagt Rahmstorf im Gespräch mit der n-tv-Journalistin Clara Pfeffer. „Wenn sie überschritten werden, ändert sich etwas fundamental an unserem Erdsystem.“

„Was die Eismassen angeht, sind die Kipppunkte für Grönland und die Antarktis die Punkte, an denen das Abschmelzen unaufhaltsam wird“, erklärt der Wissenschaftler in dem Interview, das für das ntv-Klima Update geführt wurde.

Wenn ein Kipp-Element fällt, dann wird „durch selbstverstärkende Rückkopplungsmechanismen ein Teufelskreis in Gang gesetzt, den wir nicht mehr stoppen können“. Im Fall des grönländischen Eisschilds könnte der Eisverlust jetzt schon unaufhaltsam sein. „Das Eis dort ist 3.000 Meter dick. Wenn es runterschmilzt, kommt die Oberfläche in immer wärmere Luftschichten. Die Atmosphäre ist ja unten wärmer als oben“, so der Experte. Mit anderen Worten: Je weniger Eis wir haben, umso schneller schmilzt es weg. Würde der gesamte grönländische Eisschild abschmelzen, dann würde das den Meeresspiegel um sieben Meter anheben.

In der Westantarktis ist der Kipppunkt laut Rahmstorf möglicherweise auch schon überschritten. „Da geht es aber nicht um das Schmelzen des Eises, es ist dort ja immer noch viel zu kalt. Es geht ums Abrutschen der Eismassen ins Meer. Auch dies kann unaufhaltsam sein. Bei der Westantarktis würde das drei Meter Anstieg des Meeresspiegels bedeuten.“

Sind sie erreicht, gibt es kein Zurück mehr: Kipppunkte im Klimasystem mit ihren verheerenden Kettenreaktionen

Können wir solche Prozesse wieder rückgängig machen?

ARCHIV - Tropische Fische schwimmen am 25.11.2016 am Rand eines von Korallenbleiche betroffenen Korallenriffs am Great Keppel Island vor der Küste von Queensland (Australien). Das weltgrößte Korallenriff Great Barrier Reef vor der Küste Australiens ist nach einer neuen Studie möglicherweise noch mehr in Gefahr als bislang vermutet. (zu dpa «Studie: Neue Schäden am Great Barrier Reef» vom 10.04.2017) Foto: Dan Peled/AAP/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Korallenbleiche am Great Barrier Reef

Die Uhr zurückdrehen ist „realistischerweise“ nicht möglich, glaubt Rahmstorf. „Es gab mal einen Vorschlag, Wasser auf die Antarktis zu pumpen und Schnee zu erzeugen, aber die Mengen, die man bräuchte, sind einfach zu groß.“

Steht der Mensch also den Kipp-Punkten machtlos gegenüber? Und was bedeutet das für andere Kipp-Elemente? „Es gibt durchaus Wechselwirkungen, zum Beispiel kann die Schmelze des Grönlandeises einen Kipppunkt der atlantischen Ozeanzirkulation triggern. Die bricht dann zusammen und es wird weniger Wärme in bestimmte Regionen gebracht“, so Rahmstorf, der auf ein Erliegen des Golfstroms anspielt, was für Mitteleuropa einen Rückfall in die Eiszeit bedeuten würde.

„Eine Verselbständigung dieser Phänomene würde bedeuten, dass der Meeresspiegel über Jahrhunderte weiter steigen wird, selbst wenn wir wirklich kein CO2 mehr freisetzen. Bei Eismassen dauert das lange, die sind träge. Bei anderen Kipppunkten geht es schneller.“ Beim Versiegen der Meeresströmungen gehe es nur um einige Jahrzehnte. Beim Korallensterben gebe es eine Belastungsgrenze, wenn die überschritten sei, dann könnten die Korallen innerhalb weniger Wochen sterben. „Große Teile des Great Barrier Reefs sind ja schon abgestorben. Auch unsere Wälder haben eine Belastungsgrenze, wie viel Dürre sie aushalten. Es gibt also auch Kipppunkte auf kleiner, lokaler Skala“, so Rahmstorf.

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"Müssen das Fallen weiterer Kipppunkte verhindern"

FILE PHOTO: The edge of the ice sheet is pictured south of Ilulissat, Greenland, September 17, 2021.   REUTERS/Hannibal Hanschke/File Photo
Beim grönländischen Eisschild könnte der Kipppunkt schon überschritten sein. Das heißt, das komplette Abtauen des Eises wäre unausweichlich.

Wenn Kipp-Punkte überschritten sind, gibt es also kein Zurück mehr. Rahmstorf sieht das im Falle Grönlands schon eingetreten. „Im Falle des Westantarkischen Eisschildes sind wir sehr nah dran am Kipppunkt, bei Grönland gibt es schon Studien, die sagen, wir haben den Punkt überschritten. Damit würde es zum totalen Abschmelzen des grönländischen Eisschilds kommen“, mutmaßt der Forscher.

Aber selbst wenn wir einige Kipppunkte bereits überschritten hätten, so können wir weitere Kipppunkte verhindern, zum Beispiel den Verlust des Amazonas-Regenwaldes. Dazu müssen wir schnellstmöglich die Erwärmung stoppen und unsere Emissionen auf 0 herunterfahren“, fordert der 63-Jährige.

Was muss die Menschheit tun, wenn sie ein Armageddon verhindern will?

Die Lösung ist einfach und doch so schwer: „Wir müssen die Emissionen bis 2030 halbieren. Was in Dubai auf der Weltklimakonferenz COP28 herauskam, ist zu wenig. Jedes Land muss seinen Beitrag leisten, wir könnten Dinge tun, die gar nichts kosten, wie ein allgemeines Tempolimit. Jede Maßnahme hilft, denn die Emissionen sammeln sich in der Atmosphäre an und bleiben dort Zehntausende Jahre“, so Rahmstorf.

Deutschland sieht der studierte Physiker, der seit bald 30 Jahren in Potsdam arbeitet, in einer Vorreiterrolle. „Wir haben eine große Wirkung auf andere Länder. Wenn wir die Energiewende hinkriegen, dann wird das viele Nachahmer finden“, glaubt er. „Klimaschutz ist ja eigentlich populär, es gibt satte Mehrheiten für Klimaschutz. Aber konkrete Maßnahmen werden von verschiedenen Interessengruppen gezielt madig gemacht.“ Die Leugner hätten sich darauf verlegt, Maßnahmen und Möglichkeiten zum Klimaschutz schlecht zu reden wie die Windkraft oder Wärmepumpen. „Ich habe zuhause eine Wärmepumpe und glauben Sie mir, die funktioniert, auch im Altbau“, beteuert er. „Auch das Klimageld muss schnell umgesetzt werden, um die Akzeptanz der Klimapolitik zu verbessern.“

Die Berichte der Wissenschaft, die es seit den 90er Jahren gibt, seien mit ihren Prognosen allesamt korrekt gewesen. „Man trifft aber auf Interessengruppen, wie große Energiefirmen, die massiv Desinformation betreiben.“

Was macht denn angesichts dieser Lage überhaupt noch Hoffnung?

„Wir wissen, dass es auch gesellschaftliche Kipppunkte gibt, Wir sind kurz vor dem Punkt, wo Klimaschutz wirklich ernst genommen wird. Und die Technologie für die Energiewende haben wir“, macht der Forscher Hoffnung.

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(osc)