Alte Sorten, neue Chancen

Welche alten Gemüsesorten wieder gefragt sind

von Amelie von Kruedener

Alte Gemüsesorten
Sortenvielfalt statt Supermarkt-Einheitsbrei - das hilft dem Klima und ist ein echtes Highlight auf dem Speiseplan.

In Zeiten von Hitzewellen und Dauerregen schlagen alte Gemüsesorten zurück. Was einst als überholt galt, zeigt heute erstaunliche Widerstandskraft – und schmeckt ganz nebenbei besser als alles, was aus dem Kühlregal kommt.

Altes Gemüse, neu entdeckt

Vergessene Sorten feiern ihr Comeback: Auf Märkten, in Gärten und auf den Tellern. Alte Gemüsesorten wie Pastinaken, Mangold oder Gelbe Bete galten lange als Relikte aus Omas Zeiten – heute erleben sie eine Renaissance. Sie sind robust, aromatisch und voller Geschichte. Doch warum genau kehren diese Klassiker zurück? Was hat das mit dem Klimawandel zu tun? Welche Sorten sind besonders gefragt, wie lassen sie sich anbauen – und was kommt am Ende Leckeres dabei heraus?

Alte Sorten gegen den Klimastress

Wenn Wetterextreme zur neuen Normalität werden, braucht es Pflanzen, die damit umgehen können. Genau hier punkten alte Sorten: Sie sind oft robuster, anpassungsfähiger und vielfältiger als moderne Hochzuchtsorten. Das macht sie zu stillen Helden im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels – im Garten genauso wie auf dem Acker.

Vielfalt statt Einfalt

Die industrielle Landwirtschaft setzt meist auf wenige, genetisch sehr ähnliche Sorten, die auf Höchstertrag gezüchtet wurden – allerdings oft unter optimalen Bedingungen. Sobald es zu heiß, zu trocken oder zu nass wird, stoßen viele dieser Pflanzen schnell an ihre Grenzen. Alte Sorten hingegen wurden über Generationen hinweg in regionalen, teils rauen Klimazonen kultiviert. Sie haben sich an lokale Böden, Temperaturen und Wetterlagen angepasst. Diese genetische Breite ist Gold wert in einer Zeit, in der das Klima immer weniger berechenbar wird.

Gemüseverzehr in Deutschland
Liebling ist ganz klar die Tomate.

Robust, genügsam, stressresistent

Viele alte Sorten haben dem modernen hochgezüchteten Gemüse einiges voraus, sie sind:

Hitze- und trockenheitstoleranter: Die Pflanzen wurzeln tiefer oder kommen mit weniger Wasser aus.
Kälteresistenter: Gerade alte Obstsorten trotzen auch Spätfrösten oder langen Wintern.
Weniger krankheitsanfällig: Weil sie ohne chemische Hilfe auskommen mussten, haben sie natürliche Widerstandskräfte entwickelt.
Anpassungsfähig: Alte Sorten können sich über Generationen hinweg weiterentwickeln und an veränderte Bedingungen anpassen.

Warum altes Gemüse wieder beliebt ist

Zwei Trends befeuern die Rückkehr alter Sorten: Nachhaltigkeit und Geschmack. Alte Gemüsesorten sind oft widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten und benötigen weniger Pflanzenschutzmittel. Sie gedeihen auch auf mageren Böden und unter wechselhaften Wetterbedingungen – perfekt für den naturnahen Anbau im Hobbygarten. Zudem punkten sie mit intensivem Aroma. Während moderne Züchtungen oft auf Ertrag und Lagerfähigkeit getrimmt sind, überzeugen die „alten“ durch Geschmack und Vielfalt.
Auch in der Gastronomie sorgt dieser kulinarische Rückblick für frischen Wind. Sterneköche schwören auf Sorten wie Topinambur, Palmkohl oder Winterheckenzwiebel, weil sie neue Akzente setzen – und zugleich eine Geschichte erzählen.

Diese Sorten feiern ihr Comeback mit Erfolg

  • Pastinake: Winterhart, süßlich-nussig im Geschmack, eignet sich für Suppen, Pürees oder als Ofengemüse.
  • Mangold: Buntstielige Sorten sehen nicht nur hübsch aus, sondern bringen auch eine Portion Eisen auf den Teller.
  • Gelbe Bete: Milder als ihre rote Schwester, dafür genauso vielseitig – vom Carpaccio bis zum Ofengericht.
  • Topinambur: Knollig und leicht süßlich, kann roh oder gegart gegessen werden.
  • Schwarzwurzel: Auch bekannt als „Winterspargel”, macht sich hervorragend in cremigen Eintöpfen.
  • Palermitanischer Auberginen-Typ: Klein, rund, intensiv – perfekt für mediterrane Gerichte.

Dazu kommen regionale Spezialitäten, etwa der Alblinsen oder der Rheinische Dicke Bohne, die heute wieder angebaut werden.

Pastinaken
Pastinaken als Gesundheitsbooster: weil sie reich an Ballaststoffen, Vitaminen (vor allem Vitamin C und K), Mineralstoffen wie Kalium und antioxidativen Pflanzenstoffen sind, die das Immunsystem stärken und die Verdauung fördern.

Diese Gemüsesorten sind echte Geheimtipps

Schon einmal von der Winterheckenzwiebel oder dem Knollenziest gehört? Manche unbekannten Sorten sind nur regional bekannt, andere uralte Kulturgüter. Sie bringen nicht nur Vielfalt ins Beet, sondern auch Geschichte auf den Teller. Viele von ihnen stammen aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, einige sogar aus der Antike. Wer sie anbaut oder verarbeitet, erhält nicht nur Geschmack, sondern ein Stück gelebter Kultur.

Knollen- und Wurzelgemüse

  • Haferwurzel: Feiner, milder Geschmack, früher als Spargel des armen Mannes bekannt.
  • Knollenziest (auch: Stachys): Kleine weiße Knöllchen mit nussigem Aroma, ideal zum Braten oder roh im Salat.
  • Rote Rübe Tondo di Chioggia: Italienische Sorte mit rosa-weißer Ringelstruktur – echtes Farbhighlight.
  • Lauchwurzel (Scorzonera hispanica): Verwandt mit Schwarzwurzel, aber etwas kräftiger im Aroma.
  • Mairübe: Zart, süßlich, perfekt für frühe Ernten im Frühjahr.

Blatt- und Kohlgemüse

  • Blauer Delikatess-Kohlrabi: Alte Sorte mit violetter Schale, sehr zart und aromatisch.
  • Grünkohl Lerchenzunge: Alte norddeutsche Sorte mit schmalen, stark gekrausten Blättern.
  • Dauerwirsing: Lange lagerfähig, ideal für Eintöpfe und Krautgerichte.
  • Zichorie (Wildform des Chicorée): Bitter-herb, gut für Salate oder als Gemüsebeilage.
  • Asiasalat Red Giant: Mild-scharfer Geschmack, sieht aus wie rötlicher Senfkohl – passt gut in Wok und Salat.

Fruchtgemüse und Hülsenfrüchte

  • Zuckererbse Blauwschokker: Alte Sorte mit blau-violetten Hülsen – essbar und wunderschön.
  • Stangenbohne Neckarkönigin: Robuste, ertragreiche Bohne aus den 1950ern.
  • Tomate De Berao: Ehemals in Russland beliebt, sehr ertragreich, wetterfest – perfekt für Freilandanbau.
  • Gurkenart Lemon Cucumber: Zitronenförmig und mild im Geschmack, gelbe Schale – sehr dekorativ.

Zwiebelgemüse und Lauch

  • Winterheckenzwiebel: Mehrjährige Lauchpflanze, schneidet man wie Schnittlauch – wächst fast das ganze Jahr.
  • Etagenzwiebel: Bildet kleine Zwiebelchen am Schaft statt unter der Erde – kuriose Erscheinung mit Kultstatus.

Quer durch den Gemüsegarten

  • Patisson-Kürbis (auch: Ufo-Kürbis): Kleine, flache Kürbisse mit zartem Fleisch – super zum Füllen oder Grillen.
  • Eiskraut: Dickblättrig, knackig, salzig-frisch – schmeckt wie gesalzenes Mineralwasser.
  • Rettich Schwarzer Winter: Scharfer Klassiker, der lange lagerfähig ist – früher gern als Hustenmittel genutzt.

Anbau: Einfach, aber mit Geduld

Alte Sorten sind oft genügsam. Viele gedeihen auch ohne intensiven Dünger-Einsatz und kommen mit wenig Wasser aus. Wichtig ist das richtige Saatgut – am besten von Bio-Anbietern oder aus Erhaltungsprojekten wie dem Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN). Einmal gesät, brauchen manche etwas länger bis zur Ernte – doch Geduld zahlt sich aus.
Ein weiterer Vorteil: Wer alte Sorten im Garten hat, kann selbst Saatgut gewinnen. Viele davon sind samenfest – im Gegensatz zu modernen Hybriden, bei denen das nicht möglich ist.

In der Küche: Vielseitig, deftig, neu

Die Wiederentdeckung alter Gemüsesorten hat auch kulinarisch einiges zu bieten. Mangold macht sich gut als Spinat-Ersatz, Pastinaken bringen Süße ins Curry, und Topinambur gibt Suppen eine nussige Note. Gelbe Bete harmoniert mit Ziegenkäse, Schwarzwurzeln, mit cremigen Soßen. Wer experimentierfreudig ist, kann aus diesen Klassikern moderne Gerichte zaubern – oder Traditionsrezepte wiederbeleben.
Alte Sorten sind also mehr als ein Retro-Trend. Sie sind ein Stück Kulturerbe, das sich frisch anfühlt. Und vor allem schmecken sie nach mehr.

(avo)