Katastrophe über Nacht

Die große Sturmflut in Hamburg 1962: Wie das Versagen der Behörden 340 Menschen das Leben kostete

von Oliver Scheel

ARCHIV - 17.02.1962, Hamburg: Eine Frau wird mit einem Schlauchboot in Sicherheit gebracht. Im Hamburger Elbgebiet und im norddeutschen Küstenraum verursacht Sturmtief «Vincinette» in der Nacht zum 17. Februar 1962 die bis dahin schwerste Sturmflut des Jahrhunderts in Deutschland. (zu dpa-KORR ·Sturmflut 1962: Zeitzeugen erinnern sich an Schrecken und Abenteuer·) Foto: Gerd Herold/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
62. Jahrestag Sturmflut in Hamburg

Vor 62 Jahren – in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar – geriet Hamburg in die schlimmste Flutkatastrophe der Geschichte. Die Sturmflut von 1962 ist auch eine Geschichte des Versagens der Behörden. Man lernte daraus und ein Mann ist bis heute untrennbar mit der Katastophe verbunden.
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Die Ausgangslage: Orkan Vincinette und eine stürmische Westwind-Wetterlage

ARCHIV - Soldaten der Bundeswehr evakuieren im Februar Betroffene der Flut in Hamburg-Wilhelmsburg. In der Nacht vom 16. auf den 17.02.1962 traf eine riesige Sturmflut auf die norddeutsche Küste. Bei der Sturmflut starben insgesamt über 300 Menschen, zigtausende wurden obdachlos. Vor allem der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg war betroffen.  Foto: Lothar Heidtmann   dpa    (zu dpa Themenpaket zum 50. Jahrestag der Sturmflut von 1962)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Sturmflut 1962: Der Stadtteil Wilhelmsburg stand fast komplett unter Wasser. Dort lebten viele Kriegsflüchtlinge und Ausgebombte in Barracken, die dem Wasser nicht Stand hielten.

Seit Dezember 1961 kam die deutsche Küste nicht zur Ruhe. Sturm um Sturm nagte an ihr, der Wind fegte mit 120 Kilometern pro Stunde über das Land. Schließlich gerieten riesige Wassermassen in Bewegung, die unaufhaltsam die Elbe hinauf drückten.

Als gegen 22 Uhr am 16. Februar in Cuxhaven der erste Deich brach, ging es schnell. Bis zu den frühen Morgenstunden hatten die Wassermassen mehr als 50 Deiche durchbrochen und überschwemmten zahlreiche Stadtteile. Am schlimmsten traf es die Elbinsel Wilhelmsburg. Die Fluten rissen alles mit sich. Selbst einige Häuser oder Teile der Deiche wurden mitgerissen. Die Hamburger traf die Katastrophe unvorbereitet im Schlaf. 315 Menschen verloren ihr Leben, allein in Wilhelmsburg 207. Insgesamt starben 340 Menschen bei dem Unwetter an der gesamten deutschen Küste.

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Das Versagen der Behörden: Man rechnete einfach nicht mit so einer Katastrophe

ARCHIV - Ein Hubschrauber überfliegt nach der großen Sturmflut 17.02.1962 im Hochwasser stehende Wohnhäuser in Hamburg. Bei der großen Sturmflutkatastrophe in der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1962 starben 315 Menschen, davon alleine 200 in dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Foto: dpa/lno (zu dpa-Themenpaket «50 Jahre Sturmflut» vom 01.02.2012)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Hamburg während der großen Flut.

Viel zu spät hatten die Behörden das tatsächliche Ausmaß dieses grenzwertigen Wetters erkannt. Nicht der Orkan war das Problem, sondern die Flut und das immer höher steigende Wasser. Als in der Nacht der Pegel auf St. Pauli um 5,70 m über normal stieg, war es zu spät. Wie die Stiftung Historische Museen Hamburg schreibt, war die Deichpflege nach dem 2. Weltkrieg vernachlässigt worden. Die Deiche waren nicht hoch genug, sie waren marode und wurden kaum mehr von Schafen gepflegt. Schafe festigen den Grasbewuchs. An manchen Stellen waren die Deiche bepflanzt oder sogar bebaut. Das bot den Wellen Angriffsmöglichkeiten. Als die Deiche brachen, ergossen sich unfassbare Mengen in die Stadt – ganze Häuser wurden fortgerissen. Insgesamt stand fast ein Fünftel der Stadt unter Wasser. 20.000 Menschen waren obdachlos und etwa 6.000 Gebäude zerstört.

Im besonders betroffenen Wilhelmsburg lebten viele Kriegsflüchtlinge und Ausgebombte in Barracken, die dem Wasser nicht Stand hielten. Zudem war es in diesen Februartagen sehr kalt, die Menschen konnten im kalten Wasser nicht lange überleben und in Wilhelmsburg gab es kaum Hubschrauberlandeplätze für einen solchen Katastrophenfall. Kurzum: Hamburg war überhaupt nicht auf ein solches Wetterereignis vorbereitet. So wie beim Ahrtal-Hochwasser hatte man eine solche Urgewalt der Natur schlichtweg nicht für möglich gehalten.

Die Stunde des Helmut Schmidt

ARCHIV - Hamburgs Innensenator Helmut Schmidt (SPD) verleiht am 3. Dezember 1962 in der Litzmann-Kaserne in Hamburg-Wandsbek die Dankmedaille der Freien und Hansestadt Hamburg an 400 Soldaten für deren Einsatz während der Flutkatastrophe im Februar 1962. In der Nacht vom 16. auf den 17.02.1962 traf eine riesige Sturmflut auf die norddeutsche Küste. Bei der Sturmflut starben insgesamt über 300 Menschen, zigtausende wurden obdachlos. Vor allem der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg war betroffen.   dpa    (zu dpa Themenpaket zum 50. Jahrestag der Sturmflut von 1962)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Sturmflut 1962: Die Stunde von Helmut Schmidt schlug.

Es gab damals durchaus Warnmeldungen. Feuerwehren, THW und Wasserschutzpolizei waren in Bereitschaft. Es erfolgte aber keine geordnete Evakuierung und die Warnungen in Radio und TV waren unverständlich und unklar. Bremen hatte übrigens reagiert und Unterkünfte für Evakuierte zur Verfügung gestellt. Dort wurden auch NATO-Streitkräfte und Soldaten der Bundeswehr eingesetzt. In Hamburg fielen die Telefone aus, als die Kabelschächte vollliefen. Auch Strom gab es längst nicht mehr überall.

Inmitten der Katastrophe schlug die große Stunde von Innensenator Helmut Schmidt, der Jahre später Kanzler der Deutschen (von 1974 bis 1982) werden sollte. Er machte sich einen Namen als Krisenmanager, als Politiker, der beherzt eingreift. Er habe einfach seiner Heimatstadt helfen wollen, ohne vorher im Grundgesetz über seine Kompetenzen nachgeschaut zu haben, wie er später sagte.

Er bat militärische Befehlshaber aus ganz Europa um Unterstützung. “Ich habe die alle einfach selbst angerufen oder mit Funksprüchen oder Fernschreiben in Bewegung gesetzt. Ich habe gesagt: 'Sie müssen Hubschrauber schicken, Sie müssen Pioniere schicken, die mit Sturmbooten die Menschen von den Dächern runterholen'", so Schmidt 1982 in einem Interview mit dem NDR.

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(osc)