Mal ehrlich…
Mythos Jahrhundertwinter: Geht das heute überhaupt noch und wenn ja, wie?

Schon im Herbst wurde der Jahrhundertwinter ausgerufen. Abgesehen von der frühwinterlichen Phase im November ist davon nichts zu sehen. Kommt da noch was? Wenn ja, woher soll die Kälte eigentlich kommen?
Jahrhundertwinter in Deutschland: Was ist das überhaupt?
Alle Jahre wieder geistert das Gespenst vom drohenden Jahrhundertwinter durch unsere Medienwelt. Aber wie soll so ein Jahrhundertwinter überhaupt aussehen? Nimmt man die Durchschnittstemperaturen der drei Wintermonate von Dezember bis Februar zusammen, dann fällt schnell der Winter 1962/63 auf. Damals gab es im Schnitt deutschlandweit Dauerfrost und verbreitet eine geschlossene Schneedecke – ja, zu allen drei Wintermonaten.
In den Jahrzehnten davor gab es ähnliche Kaliber, wenn auch nicht ganz so heftig. Das sind Wetterzustände, wie wir sie uns heute nicht mehr vorstellen können. Und ohne zu übertreiben: Unser heutiger Lebensalltag in Deutschland könnte das gar nicht meistern. Das waren Jahrhundertwinter!
Nach 1962/63 gab es 2010/11 den letzten kalten Winter – weit oberhalb des historischen Beispiels aus den 60ern, aber wohl so etwas, das man heute in einem wärmeren Klima als Jahrhundertwinter bezeichnen könnte. 20210 erlebten wir auch das letzte richtig weiße Weihnachten in ganz Deutschland. Die krassen Ausreißer nach unten fehlen nach diesem Winter. Wäre sowas überhaupt noch möglich?

Klimawandel hat im Winter zwei Gesichter!
Der Klimawandel sorgt mit beeindruckendem Tempo in den letzten Jahrzehnten für immer mildere Winter. Gleichzeitig destabilisiert er globale Wettersysteme wie den Polarwirbel. Er hält im Winter die kältesten Luftmassen über dem Nordpol fest und schickt uns im Zusammenspiel mit einem kräftigen Jetstream Tiefs vom Atlantik mit milder Luft. Wird der Polarwirbel aber instabil, rauscht die Kälte weit nach Süden. Nicht wenig Forschende gehen davon aus, dass das in Zukunft häufiger geschehen wird. Damit sind durchaus Jahrhundertereignisse möglich - also für eins, zwei Wochen extrem kalt und schneereich. Aber ein ganzer Jahrhunderwinter?
Die Frage ist außerdem: Wie kalt sind die Luftmassen aus Norden? Die Meere werden immer wärmer und in den ersten Winterwochen gibt es im europäischen Nordpolarmeer kein Eis – derzeit auf Rekordniveau (Grafik). Damit werden arktische Winde von den Gewässern um Spitzbergen und co angewärmt. Die richtig kalte Schelle scheint für uns im Dezember immer unwahrscheinlicher zu werden. Erst im Laufe des Dezembers, in Zukunft vielleicht erst im Januar, schließt sich der Eisdeckel und die Kaltluft aus Sibirien könnte ohne große Erwärmung Nordeuropa erreichen.

So könnte ein heutiger Jahrhundertwinter aussehen
Aber spekulieren wir doch mal. Welche Wetterlage(n) könnten heute einen Jahrhundertwinter bringen? Es könnte losgehen wie im vergangenen November: Eine frühe Polarwirbelschwäche bringt deutschlandweit Frost und Schnee bis ins Flachland. Anders als aktuell, wo der weiterhin strauchelnde Polarwirbel in Nordamerika Kälte bringt und uns damit eher kräftige, milde Atlantiktiefs, müsste der Wirbel im „Idealfall“ wiederholt über Nordeuropa wandern.
Diese Lage könnte zusammen mit der Feuchtigkeit der Meere ringsherum flächendeckend Schnee bringen. Der wärmende Boden würde abgeschirmt werden und die weiße Landschaft würde die Luft immer weiter auskühlen lassen. Das funktioniert nur in einem Hochdruckgebiet, welches aber bei einem schwachen Polarwirbel gern mal über Europa liegt.
Und solch ein kaltes, großes Hoch kann sich im Winter als richtiges Bollwerk aufbauen. An dessen Flanke könnte später sogar Sibirienluft zu uns strömen. Und wenn fast ganz Europa in Frost und Schnee hockt, kommt der Frühling auch im Februar nicht richtig zum Zuge.

Über die Zukunft der Winter entscheidet der Nordatlantikstrom
Für dieses Szenario müsste wirklich einiges zusammenkommen. Aktuell sehen wir, dass die wärmeren Meere unser Wetter immer stärker bestimmen. Es ist fraglich, ob der Nordtalantik so lange „ruhig“ bleiben würde und nicht doch mit heftigen Stürmen im Laufe des Winters die Kaltluft wegpusten würde.
Aber vielleicht schauen kommende Generationen neidisch auf unsere milden Winter zurück. Denn all diese Wetterphilosophie hat nur Bestand, solange Golf- und Nordatlantikstrom kräftig genug bleiben. Sie sind im Winter unsere Heizung. Sollte sich ihre Wirkung weiterhin abschwächen oder sogar ganz ausfallen, wären Winter wie 1962/63 nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.
Verwendete Quellen: wetter.de