Wie aus Utopie Wirklichkeit wird

AMOC-Kipppunkt naht: Deutschland droht nicht händelbarer Klima-Kollaps

von Paul Heger

Wenn die Meeresströmungen kippen, droht Europa trotz Erderwärmung die Eiszeit.
Wenn die Meeresströmungen kippen, droht Europa trotz Erderwärmung die Eiszeit.

„Daran können wir uns nicht anpassen!“, sagen sinngemäß einige Klimaforscher. Gemeint ist der Kollaps der AMOC, zu der Golfstrom und Nordatlantikstrom gehören. Neu: Der Kipppunkt scheint schon in wenigen Jahrzehnten erreicht und damit der Kollaps des europäischen Klimas besiegelt zu sein.

Neue Klimastudie erschüttert Fachwelt

Es gibt immer noch viele, die der Meinung sind, wir in Deutschland könnten die kommenden Klimaveränderungen mit ein wenig Anpassung gut wegstecken. Eine fatale Fehleinschätzung, wie schon 2024 eine niederländische Klimastudie aufzeigte: „Es gibt [für Europa] keine realistischen Anpassungsmaßnahmen, die mit den schnellen Temperaturänderungen bei einem Zusammenbruch der Atlantischen Umwälzzirkulation umgehen können.“

Dieses Zitat muss man erstmal sacken lassen – „keine Anpassungsmaßnahmen“. Und nun legt Klimaforscher Sybren Drijfhout vom Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut nach. Er hat zusammen mit Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im August 2025 eine neue Studie veröffentlicht. Die Brisanz der Ergebnisse dieser hochangesehenen Klimaforscher wollen wir für euch einordnen. Dafür müssen wir vorher klären, was diese Atlantische Umwälzzirkulation überhaupt ist, wie sie uns beeinflusst und warum sie zusammenbrechen könnte.

AMOC: Atlantikströmung definiert unser Klima

In der Wissenschaft gibt es häufig kryptische Namen und einer davon ist die „AMOC“ – Atlantik Meridional Overturning Circulation. Es handelt sich also um eine Zirkulation im Atlantik. Sie transportiert warmes Wasser von Afrika bis zum Golf von Mexiko („Golfstrom“) und dann über den Nordatlantik bis zu uns nach Europa („Nordatlantikstrom“).

Auf diesem Weg verdampft ein Teil des Wassers, womit es salzreicher und schwerer wird. Gleichzeitig kühlt es sich ab – auch das macht Wasser schwerer. Zusätzlich bildet sich salzfreies Meereis. Übrig bleibt umso salzigeres Wasser unterhalb des Eises. Das Wasser wird also durch mehrere Prozesse schwerer und sinkt letztendlich zwischen Labradorsee, Grönland und Norwegen ab. In einer Tiefe von wenigen Kilometern strömt es dann wieder nach Süden und schließt den Kreislauf.

Schema der Atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC)
Die größten Flüsse der Welt fließen nicht an Land, sondern durch die Meere. Die AMOC bestimmt damit das gesamte Weltklima und transportiert Wärme und Feuchtigkeit nach Norden.

Entscheidend für unser Klima in Europa sind die beiden Teilströme Golfstrom und Nordatlantikstrom. Sie bringen uns Wärme, die unseren Winter mild gestaltet. Gleichzeitig erzeugt warmes Wasser mehr Verdunstung und dadurch auch mehr Regen. Die AMOC macht unsern Sommer wechselhaft, oft nur mäßig heiß und das ermöglicht eine ertragreiche Landwirtschaft. Beides definiert unser Klima und alles, was damit zusammenhängt.

Klimawandel führt zum Kipppunkt im Nordatlantikstrom

Die AMOC wird also durch unterschiedliche Wassertemperaturen und Salzgehalte angetrieben. In dieses Ungleichgewicht grätscht nun gleich mehrfach der Klimawandel. Zum einen steigen die Temperaturen im Norden überproportional an und lassen das Wasser weniger stark abkühlen. Zum anderen wird an gleich drei Stellen der Salzgehalt des Meerwassers verringert:

  • Mehr Regen über dem Nordatlantik macht den Ozean oberflächlich süßer.
  • Durch höhere Temperaturen bildet sich weniger Meereis.
  • Das schmelzende Eisschild von Grönland erzeugt enorme Mengen Süßwassers.

Das alles schwächt die Strömung ab, besonders im Teil des Nordatlantikstroms. Dadurch gelangt aber auch weniger warmes, salzreiches Wasser nach Norden. Das Wasser wird leichter, sinkt noch schwerer ab und es entsteht eine sich selbstverstärkende Rückkopplung. Schreitet der Klimawandel weiter voran, könnte es also zu einem Kipppunkt kommen und zumindest ein Teil der AMOC versiegen – besonders der Nordatlantikstrom.

Wie viel Zeit bleibt? Kippen schon messbar!

Noch im letzten Bericht des Weltklimarats IPCC vor vier Jahren hieß es: Ja, es gäbe eine Abschwächung bis 2100, aber ein Erreichen eines Kipppunktes sei nicht sicher, wenn es denn diesen Kipppunkt überhaupt gäbe. Die aktuelle Studie von Drijfhout und Rahmstorf zeigen nun, dass die Existenz eines Kipppunkts sehr sicher ist. „In unseren Simulationen tritt der Kipppunkt […] in den nächsten Jahrzehnten ein. Das ist sehr bedenklich“, so Rahmstorf.

„Die Umwälzzirkulation im Nordatlantik verlangsamt sich bis zum Jahr 2100 stark und bricht danach in allen Szenarien mit hohen Emission und sogar in einigen Szenarien mit mittleren und niedrigen Emissionen zusammen. Das Risiko eines Zusammenbruchs ist somit höher als von vielen Menschen bisher angenommen.“, heißt es in der Studie weiter – ungewöhnlich deutlich für wissenschaftliche Veröffentlichungen dieser Tragweite. Wahrscheinlich auch, weil die Abschwächung tatsächlich heute schon in den Daten erkennbar ist. In den letzten 1000 Jahren war die Strömung nie so schwach wie heute.

Berechnungen aus 2025: Die Beobachtungsdaten zeigen, dass wir uns auf dem Pfad eines baldigen Kipppunkts und nachfolgenden Zusammenbruch der AMOC befinden.
Berechnungen aus 2025: Die Beobachtungsdaten zeigen, dass wir uns auf dem Pfad eines baldigen Kipppunkts und nachfolgenden Zusammenbruch der AMOC befinden.

Auf den Kipppunkt folge dann laut Studie in 50 bis 100 Jahren, vermutlich schon deutlich schneller, auch der Zusammenbruch der Strömung. Und: „Eine drastische Schwächung und ein Zusammenbruch dieses Meeresströmungssystems hätten gravierende weltweite Folgen.“, ergänzt Rahmstorf. Wettersysteme weltweit würden sich verändern. Und besonders wir in Europa können uns kaum vorstellen, was das bedeuten würde.

Europas Klima nach AMOC-Zusammenbruch

Viele von uns kennen den Film „The Day After Tomorrow“ von Roland Emerich, der gewiss etwas überspitzt auf genau dieses Thema hinweisen wollte. Im Film setzt nach dem AMOC-Zusammenbruch eine Eiszeit auf der Nordhalbkugel ein. Was der Film nicht zeigt: Die Klimaerwärmung geht dennoch weiter und die Grenze zwischen „noch heißer“ und „extrem kälter“ ist schmal. Sie würde wohl direkt durch Europa, womöglich sogar durch Deutschland verlaufen.

Jährliche mittlere Änderung der bodennahen Lufttemperatur
Schon 2017 zeigte diese Stude die Folgen einer Abschwächung der AMOC auf die Jahresdurchschnittstemperatur - Nordeuropa deutlich kälter, Südeuropa deutlich wärmer. Ein kompletter Kollaps hätte wohl noch deutlichere Folgen.

Es gibt bislang nur wenig Studien, die sich mit den konkreten, regionalen Auswirkungen beschäftigen. Das dürfte sich aufgrund der neuen Studienlage wohl bald ändern. Was man bisher weiß ist, dass der Norden und Nordwesten Europas tatsächlich in so etwas wie eine Eiszeit rutschen würde. Im Winter könnte die Durchschnittstemperatur in nur 100 Jahren um rund 30 Grad fallen - besonders in Schottland und Norwegen, die aktuell am meisten vom warmen Nordatlantik profitieren. Das arktische Meereis könnte sich bis zum Ärmelkanal ausbreiten. Im Winter würde also auch Deutschland zum Teil komplett einfrieren. Berechnungen zeigen bei uns im Schnitt 10 Grad kältere Winter. In den Alpen könnten sich neue Gletscher bis in Täler bilden, wo heute Städte wie Garmisch-Patenkirchen oder Oberstdorf liegen. Der Süden Europas käme glimpflicher davon.

Das mögliche Klima Mitteleuropas nach Zusammenbruch der AMOC: Sommer im Schnitt (!) etwas kühler und trockener, Winter im Schnitt 10 Grad kälter und damit im Eiszeit-Modus.
Das mögliche Klima Mitteleuropas nach Zusammenbruch der AMOC: Sommer im Schnitt (!) etwas kühler und trockener, Winter im Schnitt 10 Grad kälter und damit im Eiszeit-Modus.

Die Auswirkungen aber auf die Kälte zu beschränken, reicht nicht. Die Sommer könnten dennoch von Hitzewellen aus dem Süden begleitet werden, denn die Sahara heizt sich wohl weiter auf, eventuell auch die Südhälfte Europas. Gleichzeitig fehlt viel Feuchtigkeit vom Nordatlantik, womit die Niederschläge bei uns deutlich zurückgehen dürften. Wenn es aber was „von oben” gibt, dann eventuell mit Unwettern ungekannten Ausmaßes, da die Temperaturgegensätze so riesig wären.

In nur 100 Jahren würde durch rund 30 Grad kältere Winter von Schottland bis Skandinavien Eiszeit herrschen. Auch in Deutschland würde es deutlich kälter werden, wohingegen die Durchschnittstemperaturen im Süden Europas nach dieser Studie deutlich leichter zurückgehen würden.
In nur 100 Jahren würde durch rund 30 Grad kältere Winter von Schottland bis Skandinavien Eiszeit herrschen. Auch in Deutschland würde es deutlich kälter werden, wohingegen die Durchschnittstemperaturen im Süden Europas nach dieser Studie deutlich leichter zurückgehen würden.

Und nun? Klimaschutz, und zwar massiv!

Zurück zum Eingangszitat: Dass man sich an solch drastische Veränderungen nicht anpassen kann, erscheint wohl nur logisch. Und beängstigend zugleich. Denn solch ein Klima-Kollaps, der beim Zusammenbruch der AMOC in wenigen Jahren ablaufen würde, bringt auch Gesellschaften und politische Systeme zu Fall. Plötzlich sind wir Europäer, wir Deutsche die Klimaflüchtlinge. Das ist vielen immer noch nicht bewusst.

Wenn man das liest, klingt es utopisch, kaum vorstellbar. Viele halten deswegen solche Ergebnisse für Quatsch. Das ist eine verständliche, menschliche Abwehrreaktion. Gleichzeitig müssen wir diese Studien unglaublich ernst nehmen. Forschende verändern nicht ohne Grund immer mehr ihre Ansprache und mischen sich entgegen ihres Selbstverständnisses in politische Debatten ein. Wir müssen jetzt – genau jetzt – sehr effektiven Klimaschutz auf breiter Front voranbringen. Denn das ist das Positive an dieser Schockstudie: Wir haben wohl noch ein paar Jahre Zeit, um die Handbremse zu ziehen – zumindest so sehr, dass wir uns noch anpassen können.

(phe)