Kurz vor dem Kipppunkt
Atlantikstrom kollabiert womöglich sehr bald – mit katastrophalen Auswirkungen
Die AMOC, kurz der Atlantikstrom, zu dem auch der Golfstrom gehört, liefert Europa warmes Wasser und uns ein angenehm gemäßigtes Klima. Durch den Klimawandel droht die Strömung eventuell zeitnah einen Kipppunkt mit extremen Folgen für die Welt aber auch für uns zu erreichen.
Golfstrom und AMOC – Was ist das?
Die Meere der Welt sind ständig in Bewegung, angetrieben zum Einen durch das Wetter und die sich drehende Erde. Im System aus unendlich vielen Strömungen existieren globale Strömungsautobahnen, die zusammen auch „Thermohaline Zirkulation“ genannt werden. Neben den oben genannten Antrieben, funktionieren diese übergeordneten Strömungen nur aufgrund von Temperaturunterscheiden („thermo“) und unterschiedlichen Salzgehalten („halin“) in den Meeren.
Eine dieser „Autobahnen“ befindet sich im Atlantik – die AMOC, die „Atlantic Meridional Overturning Circulation“. Ein Abschnitt davon ist der Golfstrom, der warmes Wasser auf dem Golf von Mexiko und der Karibik in Richtung Nordatlantik bringt. Die Fortführung, der Nordatlantikstrom, bringt sie dann bis nach Island, zu den Britischen Inseln und weiter bis in den Norden Skandinaviens. Nur durch diese Meeresströmung kann es auch im Winter in derart hohen Breiten recht mild bleiben. Das gilt auch für unseren Winter in Deutschland.
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Klimawandel führt AMOC wohl zum Kipppunkt

Der Kreislauf der AMOC lebt davon, dass in nördlichen Breiten kaltes und salzreiches Wasser produziert wird. Sowohl niedrige Temperaturen als auch ein hoher Salzgehalt erhöhen die Dichte von Wasser und es sinkt ab. Dieses schwere Wasser entsteht besonders beim Gefrieren von Meereswasser. Da Eis fast salzfrei ist, bleibt umso salzigeres, schwereres Wasser übrig und stürzt förmlich nach unten in die Tiefsee und fließt nach Süden. Der Sog zieht oberflächlich Wasser aus Süden an und ein Kreislauf entsteht.
Dieser Prozess wird seit einiger Zeit aber massiv gestört. Im Norden, vor allem auf Grönland, schmelzen Unmengen Eis. Dadurch gelangt kaltes und salzarmes Schmelzwasser in den Nordatlantik. Es ist deutlich leichter, schwimmt quasi wie ein Deckel oben auf dem Meereswasser und stört den Kreislauf zunehmend. Die Folge ist eine messbare, starke Abschwächung der Nordatlantikströmung.
Eine Fortsetzung der Abschwächung kann zum Erliegen der Strömung vor Europa führen – ein Kipppunkt im Klimasystem! Ist die AMOC im nördlichen Bereich einmal unterbrochen, bräuchte es eine massive Abkühlung, um sie wieder in Gange zu bringen. Das ist mit dem Klimawandel aber nur schwer denkbar. Eine Studie aus dem Herbst 2024 zeigt nun: Dieser Kipppunkt könnte bereits bis zur Mitte des aktuellen Jahrhunderts erreicht sein – also in 20 bis 30 Jahren!
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Offener Brief von Wissenschaftlern warnt Staatengemeinschaft

Lange Zeit war nicht ganz klar, ob die derzeitigen Veränderungen der AMOC noch im Bereich der natürlichen Schwankungen liegen oder schon ein deutliches Signal des Klimawandels sind. Schaut man sich die Veränderungen der Temperaturen der Meeresoberflächen an, sieht man auf der gesamten Erde eine Erwärmung. Nur ein „Cold Blob“, also eine Kälteblase vor Island und Grönland geht in die andere Richtung.
Diese Abweichung ist nur mit einer Abschwächung der AMOC erklärbar. Gleichzeitig zeigen neue Messdaten, dass nicht nur die Meeresoberfläche in diesem Bereich kühler geworden ist, sondern das Wasser bis in tiefere Schichten. Nochmals ein klares Signal für eine sich beschleunigende Abschwächung, die Laut Wissenschaftlern ein baldiges Erreichen des Kipppunktes nahelegt.
43 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Institutionen warnen nun in einem offenen Brief die nordischen Staaten. Sie hätten als erstes mit gravierenden Folgen zu leben, besonders für die Landwirtschaft. Die sich verändernde Verteilung von Wärme und Feuchtigkeit würde aber auch global Regenmuster verändern. Ein Zusammenbrechen der AMOC könnte beispielsweise den Amazonasregenwald noch mehr gefährden als ohnehin schon, in anderen Regionen aber massive Fluten auslösen.
Kann das Erreichen des Kipppunktes verhindert werden?
Das Ozeansystem ist sehr komplex und die Datengrundlage durchaus lückenhaft. Die Annahmen zur AMOC und ihrem möglichen Zusammenbruch stammen aus Modellsimulationen, die durchaus auch Kritiker haben. Von einer Gewissheit eines Zusammenbruchs zum Zeitpunkt X kann also keine Rede sein. Die Indizien verdichten sich aber laut einiger Forschenden.
Wann genau der Kipppunkt erreicht werden könnte, ist demnach auch eine mit Unsicherheiten behaftete Abschätzung. Es werden Wahrscheinlichkeiten berechnet, bei wie viel Grad ein Kippen eintreffen könnte. Und dabei zeigt sich, dass selbst bei einer Erwärmung von 1,5 Grad im gloablen Klimamittel dieser Kipppunkt erreicht werden könnte – allerdings nicht extrem wahrscheinlich. Jedes Zehntel Grad mehr, erhöhe aber die Wahrscheinlichkeit, so auch Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er ist einer der führenden Forscher weltweit und appelliert eindrücklich, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Besonders für uns in Europa sei dieses Ziel extrem wichtig.
Folgen für Europa und Deutschland

Nehmen wir an, der Nordatlantikstrom würde zusammenbrechen. Modellberechnungen von Rahmstorf zeigen, dass es dann entgegen des globalen Trends der Erwärmung, im Bereich des Nordatlantiks eine massive Abkühlung gäbe. Vor allem Grönland, Großbritannien und die skandinavischen Staaten wären davon betroffen – daher auch der offene Brief an den nordischen Staatenbund. Südeuropa würde weiterhin eine massive Erwärmung erfahren, wir in Deutschland lägen dazwischen. Könnte das also für uns einen Ausgleich zum Klimawandel und sogar eine positive Folge bedeuten?
Nein. Ganz klar nein. Diese Berechnungen zeigen ein klimatisches Mittel, also einen Durchschnitt über längere Zeit. In dem Moment, wo der Norden noch kälter wird und der Süden noch heißer, werden die Wetterextreme nur umso größer. Nordströmungen brächten massive Kaltlufteinbrüche, Südströmungen heftige Temperaturanstiege – und das in Größenordnungen, wie wir sie noch nie erlebt haben und höchstens in den USA annähernd auftreten. Ein Wechsel von Hitze zu Frost wäre dann innerhalb weniger Tage denkbar. Und das alles würde einhergehen mit deutlich heftigeren Stürmen. Alles das würde die Landwirtschaft aber auch Infrastrukturen und unsere Gesundheit massiv gefährden.
Es gilt also, diese mögliche Zukunft zu verhindern und den Klimaschutz massiv auszubauen, um möglichst nahe am Pariser Klimaschutzziel zu bleiben.
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(phe)