Verbleibendes CO2-Budget kleiner als erwartet

Pariser Klimaziele auf der Kippe: Das Fenster für Erderwärmung von 1,5 Grad schließt sich

von Oliver Scheel

Das 1,5-Grad-Ziel wackelt – und zwar bedenklich. Die Erderwärmung nimmt zu und den CO2-Ausstoß bekommen wir einfach nicht schnell genug gesenkt. Eine neue Studie geht nun mit dramatischen Zahlen an die Öffentlichkeit. Danach würden wir noch in diesem Jahrzehnt die 1,5 Grad reißen und die 2 Grad Erderwärmung kaum mehr verhindern können. Das hat Folgen.
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1,5 Grad werden wohl noch in diesem Jahrzehnt überschritten

Nach der neuen Studie, die im Fachjournal „Nature Climate Change“ veröffentlicht wird, stehen uns nur noch 250 Gigatonnen CO2-Emissionen zur Verfügung, um mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent unter 1,5 Grad Erderwärmung zu bleiben. Das ist nur noch die Hälfte des CO2-Budgets, von dem der aktuelle IPCC-Sachstandsbericht ausgeht.

Mit anderen Worten: Wenn wir weiter so Treibhausgase in die Atmosphäre blasen, ist unser Budget in sechs Jahren aufgebraucht.

Die Klimakrise ist die "Mutter aller Probleme"

Höhe der CO2-Emissionen nach ausgewählten Ländern weltweit im Jahresvergleich 1990 und 2021
Höhe der CO2-Emissionen nach ausgewählten Ländern weltweit im Jahresvergleich 1990 und 2021 Quelle: Global Carbon Project

Zwei Dinge müssen sich in erster Linie verändern: Die Politik muss mutige und scheinbar unpopuläre Maßnahmen durchsetzen, um große Schäden von Mensch, Natur und Wirtschaft fernzuhhalten. Und zweitens müssen die Menschen endlich kapieren, dass ein „Weiter so“ in den Untergang führt. Wenn auf populistischen Veranstaltungen durch Klimaschutz der Wohlstand der Gesellschaft infrage gestellt wird, dann muss man hier entgegenhalten, dass eigentlich nur eine Sache unseren Wohlstand gefährdet: Nämlich das Nichtstun.

Wenn wir uns strengen Maßnahmen verschließen, steht das Überleben der Menschheit auf dem Spiel – so einfach ist das. Die Klimakrise als „Mutter aller Krisen“ steht auch im Zusammenhang mit daraus resultierenden Problemen wie massiven Migrationsbewegungen.

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Zwei Grad wärmere Welt steht schon an der Türschwelle

„Es besteht die sehr reale Möglichkeit, dass wir das 1,5-Grad-Ziel bereits in diesem Jahrzehnt überschreiten werden“, sagte Gabriel Abrahão vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Die Tatsache, dass wir das Budget so schnell ausschöpfen, zeigt, wie langsam Veränderungen in den menschlichen Systemen zur Reduzierung der Emissionen sein können“, so der Experte.

Das Budget für das 2-Grad-Ziel wäre nach 23 Jahren erschöpft, wenn die Emissionen auf dem aktuellen Niveau stagnieren. Das würde bedeuten, schon in den 2040er Jahren würde die Erde zwei Grad heißer sein als zu Beginn der Industrialisierung.

Wir müssen schnell runter mit den Emissionen - die Politik ist gefordert

„Das verbleibende CO2-Budget für das Erreichen der Ziele des Pariser Abkommens ist sehr klein – egal welche Methode man heranzieht. Und die Botschaft immer die Gleiche: Um die Ziele noch zu erreichen, müssen die Emissionen schnellstmöglich reduziert werden – die aktuelle Dekade ist die kritische Dekade“, sagte Prof. Carl-Friedrich Schleussner von der Humboldt-Universität zu Berlin.

„In der Tat liegt die Trägheit in der Reaktion und Widerständen im politischen System. Wissenschaft, Politik und Ölkonzerne sind sich des Problems schon seit vielen Jahrzehnten bewusst, doch es wurden noch keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, wir haben immer noch steigende Emissionen“, analysierte Prof. Klaus Hubacek von der Universität Groningen in den Niederlanden.

Eine zwei Grad wärmere Welt ist schon ziemlich katastrophal

klimawandel grad
Wie heiß darf es auf der Erde werden? Schon zwei Grad machen einen erheblichen Unterschied.

Wir können uns die Tatenlosigkeit schlichtweg nicht mehr leisten. Denn schon eine um zwei Grad erwärmte Welt wäre eine, in der wir nicht mehr sorgenfrei leben könnten. Es wird insgesamt mehr Regen fallen, der aber häufiger als Starkregen niedergehen wird. Und trockene Gebiete werden noch trockener werden. Das wird in Europa vor allem den Mittelmeerraum betreffen. Feuersbrünste und Wassernot werden sommerliche Begleiter unseres Lebens sein.

Eine besonders verheerende Veränderung wird vermutlich im Amazonas geschehen: Dort werden sich die jährlichen Niederschlagsmengen besonders stark verringern. Das könnte dazu führen, dass aus dem größten Regenwald der Erde eine Savanne wird. Auch dort wird es dann vermehrt zu Feuern kommen. Vorzeichen dafür gibt es schon in diesem Jahr mit der großen Dürre und der Hitzewelle im Amazonasgebiet. Die weltweiten Folgen für ein Verschwinden dieses Regenwalds sind kaum vorherzusehen.

Aufgeben ist keine Option

„Das heißt aber keinesfalls, wir sollten aufgeben. Ganz im Gegenteil. Es zeigt, dass jede eingesparte Tonne Kohlendioxid umso wichtiger ist, weil das Budget so extrem knapp ist. Und selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, ist es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben, da jede eigesparte Tonne zu geringerer globaler Temperaturerhöhung führt und damit zu geringeren Schäden“, so Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln.

„Gerade die extremen Temperaturen und die damit einhergehenden Dürren, Stürme und Extremwetterereignisse des vergangenen Sommers haben gezeigt, dass wir uns an einen ungebremsten Klimawandel einfach nicht anpassen können. Diese Studie ist ein weiterer Aufruf, in den Notfallmodus zu schalten und alles daran zu setzen, Treibhausgasemissionen so schnell wie irgend möglich zu reduzieren.”

Die Klimaforscherin Tatiana Ilyina von der Universität Hamburg hält die Resultate des Teams um Lamboll für seriös und belastbar. Die Studie zeige erneut, wie dringend eine schnelle Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen sei. „Wir werden voraussichtlich in diesem Jahr wieder die höchsten CO2-Emissionen aller Zeiten haben. Ich weiß nicht, was wir als Wissenschaftler noch tun sollen, damit die globale Politik sich wirklich anstrengt.“

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(avo)