Alpenraum vor riesigen Herausforderungen

Felsstürze, Gletscherschwund, Starkregen: Was die Klimakrise mit den Alpen macht

von Oliver Scheel

Die Alpen sind nicht nur Lebensraum für fast 15 Millionen Menschen, die Berge sind auch einer der touristischen Hotspots in Europa. Und zwar im Sommer wie im Winter. Doch die Klimakrise macht diesem zerbrechlichen Lebensraum arg zu schaffen. Die Herausforderungen sind immens, die Folgen der Erderwärmung kaum abzuschätzen.
Unser Video zeigt die aktuelle Folge des Klima Updates.

Alpenklimagipfel befasst sich mit den Herausforderungen des alpinen Raumes

Mit den Problemen, die den Alpenraum durch den Klimawandel erfassen, befasst sich der erste Alpenklimagipfel, der vom 27. bis 28. Juni auf der Zugspitze abgehalten wird. Dort tauschen sich Experten aus Wissenschaft, Tourismus und Wirtschaft, aber auch Umweltaktivisten aus und informieren über den aktuellen Forschungsstand und die Folgen der Erderwärmung für den Alpenraum.

Die schlägt in den Alpen besonders zu. In den vergangenen 100 Jahren ist die Temperatur dort um zwei Grad gestiegen, das ist ungefähr das doppelte des globalen Durchschnitts. Die Sommer sind sogar jetzt schon drei bis vier Grad wärmer als noch in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Folgen sind verheerend: Gletscherschmelze, Starkregen, Murenabgänge, tauender Permafrost, Felsstürze, Erdrutsche.

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Ohne Gletscher wird es schwierig

07.10.2023, Schweiz, Furkapass: Diese Luftaufnahme zeigt den Rhonegletscher und der Furkapass. Foto: Peter Klaunzer/KEYSTONE/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Auch der mächtige Rhonegletscher in der Schweiz hat schlechte karten, die Erderwärmung zu überleben.

Weil es immer wärmer wird, verlieren die Gletscher enorme Massen an Eis. Sie verschwinden. Mahnendes Beispiel: Im Hitzesommer 2022 wurde dem südlichen Schneeferner an der Zugspitze der Status als Gletscher abgesprochen. Er ist geschmolzen. Forscher schätzen, dass bis zum Ende des 21. Jahrhunderts die Gletscher des Alpenraums verschwunden sein könnten. Mit katastrophalen Folgen.

Denn mit dem Rhein und der Rhone entspringen wichtige Flüsse in Gletschergebieten. Ohne das Schmelzwasser ist die Trinkwasserversorgung im alpinen Raum gefährdet. Auch die Landwirtschaft und der Tourismus leiden unter dem Wassermangel. Nicht zu vergessen sind Energieproduktion und Warentransport. Ohne Gletscherwasser sieht es für Wasserkraftwerke schlecht aus, und kleinere Flüsse könnten in Zukunft trockenfallen bzw. selbst größere Flüsse nicht mehr für Schiffe geeignet sein.

Bis die Gletscher verschwunden sind, muss wegen des klimabedingten und schnellen Abtauens mit vermehrten Hochwassern gerechnet werden. Das fehlende Eis beschleunigt im Übrigen die Erderwärmung, denn der weiße Schnee reflektiert das Sonnenlicht. Wir sprechen hierbei vom Albedo-Effekt. Ohne den Schnee erwärmt sich der Fels zusätzlich.

Zu viel Wasser, zu wenig Wasser - und immer weniger Schnee

Schwere Gewitter und Unwetter zogen am späten Montagabend und in der ersten Nachthälfte über weite Teile Südbayerns hinweg. Auf Grund der synoptischen Ausgangslage steht seit Montag in weiten Teilen Deutschlands eine Schwergewitterlage ins Haus. Am Montag war vor allem Südbayern betroffen. An den Alpen hangelten sich immer wieder rotierende Gewitterzellen entlang. Eine sogenannte HP-Superzelle (englisch high precipitation supercell) zog vom Allgäu über den Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Extrem heftiger Starkregen trat in Murnau am Staffelsee auf. Die Kanalisation schaffte die Wassermassen nicht. Der Aufzug zwar spektakulär. Blitze zuckten im Sekundentakt. Auch Hagel war dabei. Starkregen führte zu ersten schwachen Überschwemmungen - Bayern ist auf Grund der Vorgeschichte vorbelastet. Am Dienstag sind andere Teile Deutschlands von heftigen Unwettern betroffen.
Starkregenfälle gehören schon fast zur Normalität in den Alpen.

Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Wenn es ein Grad wärmer ist, nimmt die Luft sieben Prozent mehr Feuchtigkeit auf. Dieses Wasser muss irgendwann abregnen. Deshalb nimmt die Zahl der Starkregenfälle zu – in den Alpen besonders, weil es da ohnehin große Niederschlagssummen gibt und weil die Erwärmung dort so stark voranschreitet. Immer wieder drohen daher Überflutungen und Murenabgänge. Zuletzt kam es zu einer Hochwasserkatastrophe in Süddeutschland.

Die Erderwärmung führt auch dazu, dass Wetterlagen stabiler werden, sich länger halten. Sie sind dann wie festgetackert. Dies brachte dem südlichen Alpenraum im Winter 2022/23 eine sehr lang dauernde Trockenphase ein. Es fiel fast kein Schnee. Der Gardasee erreichte nach einem ebenfalls trockenen Sommer historische Tiefstwerte, der Po, Italiens längster Fluss, führte kaum mehr Wasser. Es war ein Desaster für die Bauern, die Anwohner und die Wasserversorgung.

Momentan sorgt eher der viele Regen für Probleme – vor allem südlich der Alpen. Der Gardasee ist voll, viele Regionen in Norditalien kämpfen gegen die Wassermassen. Im letzten Sommer gab es katastrophale Regenfälle in Slowenien und im Süden Österreichs. Zwei Drittel von Slowenien waren von dem Hochwasser betroffen. Es war die schwerste Naturkatastrophe der vergangenen 30 Jahre für das kleine Land.

Weil es wärmer wird, fällt auch weniger Schnee. Die Schneefallgrenze rückt immer höher, eine Katastrophe für den Winter- und Ski-Tourismus. Der Winter 2023/24 gehörte zu den schneeärmsten. Dafür wurde der nördliche Alpenraum schon Anfang Dezember von Schnee fast erdrückt – wir erinnern uns alle noch an das Schneechaos von München. Im Anschluss an das Schneechaos schaffte es kaum mehr eine Flocke bis in die Tallagen der Alpen.

Zusammenfassend können wir sagen, dass die Zahl der Extremwetter steigt und steigt und das eigentlich kein Monat mehr ohne eine Wetterkatastrophe in den Alpen stattfindet.

Steinschläge, Felsstürze, Murenabgänge

Schlamm und Gesteinsbrocken bewegen sich 25.08.2017 in Bondo im Kanton Graubünden (Schweiz) durch den Ort. Am 3369 Meter hohen Piz Cengalo hinter Bondo hatten sich Gesteinsmassen gelöst und waren ins Tal gedonnert. Die Suche nach den Vermissten im Bergsturzgebiet in der Schweiz geht weiter. In mehr als 24 Stunden haben die Retter aber kein Lebenszeichen entdeckt. (zu dpa «Polizei: Kaum Überlebenschance für Vermisste nach Schweizer Bergsturz» vom 25.08.2017) Foto: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
2017 ereignete sich ein tödlicher Felssturz in Bondo in der Schweiz.

Starke Regenfälle können Landrutsche und Murenabgänge erzeugen. Das aktuelle Beispiel ist der verheerende Bergsturz in der Südost-Schweiz. 2017 tötete der gigantische Felssturz von Bondo acht Menschen und machte Teile des Dorfs binnen Sekunden dem Erdboden gleich.

Wenn es wärmer wird, taut der Permafrost. In den Felsen der Alpen ist jede Menge Wasser als Eis gebunden. Das hält den Fels zusammen. Wenn es nun taut und wieder friert, kann der Fels förmlich gesprengt werden. Zudem destabilisieren Starkregenfälle die Felsen, sie können ins Rutschen geraten. Je wärmer es wird und je mehr es regnet, umso mehr müssen wir mit verheerenden Felsstürzen, Steinschlägen und Muren rechnen.

Immer wieder verlieren Menschen in den Alpen ihr Leben wegen der Folgen der Erderwärmung. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es in den Alpen bald Orte geben wird, in denen die Menschen nicht mehr leben wollen oder können. Sie wären dann die ersten Klimaflüchtlinge des alpinen Raumes. Das gilt es unbedingt zu verhindern durch eine ambitionierte und beherzte Klimapolitik.

(osc)