Was steckt hinter diesen Zahlen? Eine Analyse

CO2-Emissionen sinken in Deutschland auf tiefsten Stand seit 1950er Jahren

von Oliver Scheel

Es tut sich was in Deutschland. Die CO2-Emissionen sind auf den tiefsten Stand seit den 1950er Jahren gesunken. Das ist erfreulich. Dennoch gibt es Kritik an den Zahlen. Was ist dran an dem historischen Minus und warum soll das negativ sein? Eine Bestandsaufnahme.
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Gute Nachrichten - oder etwa nicht?

Es sind ja im Prinzip gute Nachrichten: 2023 sanken Deutschlands Treibhausgasemissionen auf 673 Millionen Tonnen CO2. Damit gingen die Emissionen um 46 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 zurück – und fielen auf den niedrigsten Stand seit den 1950er Jahren. „Die Energiewirtschaft verzeichnet mit dem historischen Hoch bei den Erneuerbaren Energien einen klimapolitischen Erfolg, der uns näher zum 2030-Ziel bringt", sagte Simon Müller, Direktor Agora Energiewende Deutschland.

Der Rückgang der Industrie-Emissionen sei jedoch nicht nachhaltig: Nur 15 Prozent der Minderungen seien etwa durch mehr Wind- und Solarkraft langfristig abgesichert. "Der krisenbedingte Produktionseinbruch schwächt den Industriestandort Deutschland." Wenn die Konjunktur auf Basis von Kohle und Gas wieder anziehe, würden es auch die Emissionen tun.

Ist das so? Analysieren wir doch mal die Situation, in der wir uns befinden und schauen auf den Pfad, den wir hin zur Klimaneutralität gehen müssen.

Das passierte 2023

Deutschland kommt bei der Energiewende voran: 2023 wurde laut Agora erstmals mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs von Wind-, Solar- oder Wasserkraft gedeckt. Das lag vor allem an der Windenergie. Denn Windkraftwerke produzierten im Jahr 2023 14,1 Prozent mehr Energie als im Vorjahr. Damit war Wind wieder die stärkste Energiequelle des Jahres, gefolgt von Braunkohle, Solar, Erdgas, Biomasse, Steinkohle, Wasserkraft und Kernenergie. Der Windausbau zeigt also Wirkung.

Die Bruttostromerzeugung durch Braunkohle fiel auf das Niveau des Jahres 1963. Hintergrund ist der deutliche Produktionsrückgang in den energieintensiven Branchen. Dort lag das Produktionsniveau bis Ende Oktober 2023 rund 11 Prozentpunkte unterhalb der Werte des Vorjahreszeitraums. Gründe sind eine schwache Nachfrage nach Produkten der energieintensiven Industrien in Verbindung mit einem schwierigen Wettbewerbsumfeld aufgrund der hohen Energiepreise.

Beim Stromhandel produzierte Deutschland einen Importüberschuss. Warum importierten wir Strom? Weil im Sommer unsere Nachbarländer Dänemark, Norwegen und Schweden sehr günstigen Strom anboten. Der Stromhandel funktioniert also. Aus Skandinavien kommt sehr viel Erneuerbare Energie. Auch das trug dazu bei, dass wir in Deutschland weniger Kohle verbrennen mussten.

Neben einem Boom beim Neubau von Solaranlagen galt es auch einen Rückgang beim Stromverbrauch um fast vier Prozent zu verzeichnen.

Und nebenbei: Dass die deutschen Atomkraftwerke vom Netz gingen, fiel nicht negativ ins Gewicht. Das zeigt, dass die Atomdebatte eine Scheindebatte war und nun hoffentlich vom Tisch ist.

Leuchttürme der Energiewende: Ohne Wind und Sonne schaffen wir es nicht

Sehen wir es positiv: Das sind die guten Aspekte

ARCHIV - 06.11.2023, Brandenburg, Jacobsdorf: Der Sonnenaufgang leuchtet über einem Windenergiepark. (zu dpa: "Studie: Deutschland beim Umbau des Strommarktes nur Mittelmaß") Foto: Patrick Pleul/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Wind und Sonne werden immer billiger

Wir haben weniger Kohle verbraucht. Das ist gut, denn Kohle ist die schmutzigste Energiequelle, die es gibt. Nun heißt es, dass wir weniger Kohlestrom verbraucht haben, weil unsere Industrie schwächelt. Dem Klima aber ist es egal, warum weniger Kohle verbrannt wurde. Wichtig ist, dass weniger Kohle verbrannt wurde. Und: Trotz der wirtschaftlichen Stagnation waren noch nie so viele Menschen in Erwerbstätigkeit wie 2023. Auf die Arbeitsplätze in Deutschland scheint das also keine Auswirkung zu haben.

Außerdem zeigen die Zahlen, dass der europäische Stromhandel funktioniert. Denn Erneuerbare Energien sind günstiger als Kohle und weil das Angebot an grünem Strom stieg, wurden die teureren Kohlekraftwerke aus dem Markt gedrängt. Überdies hat der Verkauf von Verschmutzungsrechten dem Bund im vergangenen Jahr Rekordeinnahmen gebracht. Die Erlöse aus dem europäischen und nationalem Emissionshandel seien auf 18 Milliarden Euro geklettert, teilte das Umweltbundesamt mit. Das Geld fließt vollständig in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), der als Finanzierungsinstrument einen zentralen Beitrag zur Erreichung der energie- und klimapolitischen Ziele Deutschlands leisten soll.

Positiv ist auch, dass Deutschland einen geringeren Stromverbrauch hatte. Denn allein mit Erneuerbaren werden wir die Energiewende nicht schaffen. Es geht um den Dreiklang: Ausbau der Erneuerbaren, Energieeffizienz und intelligente Netze. Je weniger Energie wir benötigen, umso besser. Und in unserem modernen Leben steckt ein riesiges Sparpotenzial, das wir nicht annähernd ausnutzen. In unsanierten Häusern geht rund ein Drittel der Heizwärme verloren. Und neben der Fassadendämmung ist eine Dachdämmung eine effektive Maßnahme. Ein schlecht saniertes Dach ist für ungefähr 20 Prozent des Wärmeverlustes verantwortlich. Hier können wir wahnsinnig viel Energie sparen.

Außerdem positiv: Immer mehr Menschen verbrauchen ihren Solarstrom selbst. Das hilft, unsere Netze zu entlasten. So können Stromverbrauchsspitzen in den Netzen besser abgefangen werden.

Und: Auch wenn der Zubau der Windkraft an Land deutlich zu gering ausfiel, so steigt die Zahl der Genehmigungen an: Mit 7,7 Gigawatt stieg die Leistung der genehmigten Windprojekte um 74 Prozent gegenüber 2022. Es tut sich also was.

Was muss sich unbedingt verbessern?

ARCHIV - 23.12.2022, Baden-Württemberg, Gruibingen: Autos stehen auf der Autobahn 8 in Fahrtrichtung München im Stau. (zu dpa: «Von der Skipiste in den Stau: ADAC warnt vor Verkehr am Wochenende») Foto: Marijan Murat/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Sorgenkinder bleiben der Verkehrs- und der Gebäudesektor.

Klar ist, es kann gar nicht schnell genug gehen mit dem Ausbau der Erneuerbaren. Aber nicht alle Bereiche unseres Lebens verzeichnen Fortschritte: Die problematischen Sektoren Verkehr und Gebäude rissen ihre gesetzlich verankerten Jahresziele erneut.

„Nach der politischen Weichenstellung mit dem neuen Heizgesetz und dem Gesetz für die kommunale Wärmeplanung kommt es jetzt auf eine konsequente Umsetzung an. Nur so können im Gebäudesektor die Emissionen endlich wirksam gesenkt werden“, sagt Müller. Gleichzeitig werde Heizen mit fossilen Energieträgern perspektivisch immer teurer, spätestens mit dem Start des europäischen Emissionshandels für Gebäude und Verkehr 2027. „Die Bundesregierung muss auch mit der neuen Haushaltslage ihre Wärmepolitik umfassend flankieren, damit sich alle Einkommensgruppen klimafreundliches Heizen leisten können.“

Greenpeace sprach von einer Backpfeife für Verkehrsminister Volker Wissing. Während bei Gebäuden immerhin der Kurs korrigierte werde, blockiere Wissing einfach umsetzbare Schritte wie eine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen, den Abbau des Dienstwagenprivilegs oder ein abgesichertes Deutschlandticket.

Auch bei der Landwirtschaft liegt ein großes Verbesserungspotenzial. Weniger Tierhaltung, weniger Fleischkonsum, weniger Düngemittel, weniger Monokulturen und dafür mehr Bio-Landbau würden dem Klima helfen.

Und: Es ist immer einfach, mit dem Finger auf China zu zeigen. Wenn aber ein jeder von uns seinen Konsum ein wenig drosselt, dann sinkt auch der CO2-Ausstoß in China, denn dort wird ein Großteil unserer Produkte gefertigt.

Lese-Tipp: Strom-Vision 2045 - bekommen wir den grünen Netzausbau hin?

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(osc)