Antworten vom größtem Netzbetreiber

Strom-Vision 2045 - bekommen wir den grünen Netzausbau hin?

von Oliver Scheel

Unsere Zukunft soll CO2-neutral sein. Dazu produzieren wir Erneuerbaren Energien im großen Stil und müssen grünen Strom ohne Ende zur Verfügung stellen. Für die Industrie, für unsere Wärmepumpen und E-Autos, eigentlich für das gesamte Leben. Aber unser Stromnetz ist dem Mehrbedarf an Strom momentan nicht gewachsen. Wo stehen wir bei Energiewende und Netzausbau? Fragen wir doch mal nach bei Westnetz, Deutschlands größten Verteilnetzbetreiber.
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Gegenverkehr in der Stromleitung macht Netzausbau erforderlich

Wir alle brauchen Strom. Ohne Strom bricht die Gesellschaft zusammen, das ist klar. Unsere Zukunft soll aber grün und bestenfalls CO2 neutral sein. Das wollen wir in Deutschland und der EU mit der Energiewende schaffen.

Ein Teil der Energiewende besteht darin, dass wir den Strom auf unseren Dächern und mit Balkonkraftwerken zuhause produzieren. Das bedeutet, der Strom wird immer häufiger dezentral in vielen kleinen Anlagen – wie Windkraft- und Solaranlagen – erzeugt, statt wie bisher in wenigen Großkraftwerken. Es gibt also sozusagen Gegenverkehr in der Stromleitung. Strom fließt nicht mehr nur zum Endkunden, sondern kommt von überall ins Netz geflossen. Das ist die große Herausforderung für die Netze. Wir brauchen mehr Leitungen, mehr Ortsnetzstationen, mehr Transformatoren. Und schließlich mehr Digitalisierung, denn digital können Energieflüsse besser geleitet werden. Das Netz muss also intelligent werden.

Vor dieser Herausforderung steht zum Beispiel der Netzbeteiber Westnetz, der über 175.000 Kilometer Stromnetz verfügt, das klug vernetzt werden muss. Eine enorme Herausforderung. Oder, wie es Geschäftsführer Patrick Wittenberg im Interview mit dem Autor formuliert: „Die Energiewende, die wir vor der Brust haben, ist die größte Aufgabe, die die Energiebranche je gesehen hat.“

Hervorragender Energiespeicher: Wie Salz ein Player bei der Energiewende wird

Das Stromnetz muss schlau werden - durch Digitalisierung

 Höchstspannungsleitungen, 380 KV, Stromtrasse, Windrad, der Strom kommt aus dem Rheinischen Braunkohlerevier, beim Kraftwerk Neurath, bei Grevenbroich, Deutschland, *** Extra-high voltage lines, 380 KV, power line, wind turbine, the electricity comes from the Rhenish lignite mining area, at the Neurath power plant, near Grevenbroich, Germany,
Wenn wir unsere Gesellschaft elektrifizieren, brauchen wir enorm viel Strom. Und für die Verteilung brauchen wir vernünftige Netze.

Was macht die Energiewende so besonders? „Mit der Energiewende gehen wir jetzt einen anderen Weg. Wir transformieren unser Energiesystem. Wir schalten die großen Kraftwerk ab. Aus der Kernenergie sind wir ausgestiegen, der Ausstieg aus Braun– und Steinkohle steht fest“, sagt der Experte. Damit die Transformation gelingt, brauchen wir zwei Dinge: „Zum einen benötigen wir einen massiven Netzausbau. Wir brauchen mehr und größere Leitungen und mehr und größere Transformatoren. Und zum Zweiten investieren wir in die Digitalisierung unserer Netze“, so Wittenberg.

Überall wird Strom produziert werden, der von überall ins Netz drängt. Dafür muss das Netz perfekt genutzt werden. Durch Sensoren in den Netzen wissen dann die Netzbetreiber, wie ausgelastet die Netze sind und wo sozusagen noch Platz ist.

Beruhigende Worte: „Der Netzausbau funktioniert gut und vernünftig“

Deutschland ist ein Treiber der weltweiten Energiewende. Bis 2030 sollen die Erneuerbaren weltweit verdreifacht werden, verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai. Und 2030 will Deutschland mindestens 80 Prozent des Bruttostroms aus Erneuerbaren Energien beziehen. „Das sind sehr konkrete Ziele“, wie Wittenberg bestätigte.

Und wo stehen wir da? „Der Netzausbau funktioniert gut und vernünftig“, erläutert er, bemängelt aber gleichzeitig die Bürokratie: „Das gehört eben auch zur Wahrheit: Ich würde mir wünschen, dass es an der ein oder anderen Stelle schneller ginge.“ Die Verzögerungen kämen durch langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren zustande.

Dabei müssten der Ausbau der Erneuerbaren und der Ausbau der Netze harmonisiert erfolgen. Denn: Es gibt Zeiten, in denen wenig Erneuerbarer Strom da ist, aber ein hoher Strombedarf. Und der Bedarf wird weiter wachsen. Wittenberg geht davon aus, dass es einen Anstieg von 30 Prozent geben wird. „Unsere Infrastruktur ist dafür aber ausgelegt, zumindest an diesem Standort hier“, sagt er bei unserem Gespräch in Langenfeld. Wo die Netze noch nicht perfekt funktionierten, sei bei der Verteilung des Stroms. Wenn in einer Region viel Strom produziert wird und in anderen Regionen viel Strom angefragt wird, bestehen Probleme bei der Verteilung der Energie. Auch da benötigen wir den Ausbau.

Was machen wir, wenn Sonne und Wind nicht genügend Energie liefern?

12.10.2023, Baustelle Neubaugebiet Pfaffenhausen im Unterallgäu. Auf dem Dach eine Photovoltaikanlage neben der Dachgaube. 12.10.2023, Solardach 12.10.2023, Solardach *** 12 10 2023, construction site new building area Pfaffenhausen in Unterallgäu On the roof a photovoltaic system next to the dormer 12 10 2023, solar roof 12 10 2023, solar roof
Strom wird zukünftig mehr und mehr dezentral produziert werden. Das ist prinzipiell gut für die Netze, aber auch eine Herausforderung.

Besonders an windschwachen und nebligen Tagen wird es schwierig, die Grundversorgung zu gewährleisten – Stichwort Dunkelflaute. „Wir werden auch in Zukunft Back-up-Kapazitäten benötigen. Dafür sind insbesondere zukünftig Wasserstoffkraftwerke vorgesehen. Gleichzeitig gibt es großen Bedarf an Energiespeichern. Ob das Pumpspeicherkraftwerke sind oder Wasserstoff getriebene Speicher oder Batteriespeicher. All das hilft unserem Energiesystem“, so Wittenberg. Dann könne man die Dunkelflaute gut überstehen.

„Ich sage jetzt etwas, das hätte ein Netzbeteiber vor zehn Jahren noch nicht gesagt: Ich bin froh, um jeden Haushalt, der energieautark ist. Das ist grundsätzlich für uns positiv, denn dadurch wird unser Netz nicht belastet. Alles, was dezentral erzeugt und verbraucht wird, ist gut für unser Netz und entlastet unser Netz.“

Gibt es wirklich die Gefahr des Blackouts?

Ganze Romane sind darüber geschrieben worden, was bei einem großflächigen und lang anhaltenden Stromausfall mit der Gesellschaft passiert. Wir sind natürlich komplett abhängig von der Energieversorgung. In China kommt es tatsächlich häufiger vor, dass der Stombedarf höher ist als der vorhandene Strom. Dann fahren beispielsweise Industriebetriebe morgens gar nicht erst hoch. Wie sieht das bei uns aus? „Grundsätzlich bin ich Optimist“, sagt Wittenberg mit einem Lächeln.

„Wir arbeiten maßgeblich daran, dass solche Situationen nicht auftreten. Mit den neuen Kraftwerksplänen und den Ausbauplänen für konventionelle und erneuerbare Energien sind wir auf einem vernünftigen Weg, genau solche Szenarien zu verhindern. Unser Ziel muss es sein, Deutschland als Industrienation und den Bürgerinnen und Bürgern hier eine zuverlässige Stromversorgung 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche und das das ganze Jahr über zur Verfügung zu stellen“, verspricht Wittenberg.

Und welche Vision hat der Geschäftsführer für das Jahr 2045? „Im Jahr 2045 werden wir ein sehr viel intelligenteres Netz haben als heute. Wir werden es nicht schaffen, dass der Strom nur da erzeugt wird, wo er verbraucht wird. Dazu ist unser Land zu unterschiedlich. Also werden wir auch im Jahr 2045 eine massive Transport- und Verteilungsaufgabe für Strom haben. Unsere Netze werden aber darauf ausgelegt sein.“ Dann also auf in eine klimaneutrale Zukunft.

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(osc)