Neuer Eindringling bringt Krankheiten mit

Darum ist die Schilf-Glasflügelzikade so gefährlich

von Oliver Scheel

Zikade wird zur Gefahr für Landwirte
Klein, aber gefährlich: Die Schilf-Glasflügelzikade richtet große Schäden in der Landwirtschaft an.

Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich aus. Sie ist ein Profiteur des Klimawandels und sie fühlt sich daher in einem wärmer werdenden Deutschland sehr wohl. Das Problem: Sie infiziert unser Gemüse mit der Pflanzenkrankheit Stolbur. Vor allem Zuckerrüben, aber auch Kartoffeln sind betroffen. Landwirte sind alarmiert.

Die Rüben und Kartoffeln werden weich wie Gummi

Besonders in Süddeutschland befällt die Schilf-Glasflügelzikade die Felder. Besonders beliebt bei den Insekten: Zuckerrüben. Die über eine Zikadenart verbreitete Pflanzenkrankheit Stolbur gilt als „ernste Bedrohung” für die Versorgung mit heimischen Kartoffeln, Gemüse und Zucker, so das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium. Die Schäden gehen nach Schätzung des Landesbauernverbandes allein in Baden-Württemberg „in die Millionen”.

Das Bakterium Candidatus Phytoplasma solani wird durch Stiche der Schilf-Glasflügelzikade auf Pflanzen übertragen, die verursachte Krankheit wird Stolbur genannt. Infizierte Bestände welken, Wurzeln und Knollen werden gummiartig. Der Ertrag sinkt, Geschmack und Qualität leiden, etwa durch geringeren Zuckergehalt. Bei starkem Befall können Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse nicht verarbeitet und gelagert werden.

Was machen die Zikaden mit dem Gemüse?

Die Erreger sind für den Menschen ungefährlich, machen die Knollen jedoch unverkäuflich und für die industrielle Weiterverarbeitung weitgehend unbrauchbar. Die Übertragung der Erreger erfolgt durch erwachsene Zikaden auf oberirdischen Pflanzenteilen, aber auch durch die Nymphen, die nach der Eiablage in der Erde schlüpfen und unterirdische Pflanzenteile fressen. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft waren in der Anbausaison 2024 etwa 85.000 Hektar Zuckerrüben betroffen.

Zuckerrüben
Kranke Zuckerrüben stehen auf einem Feld im rheinhessischen Gabsheim.

Zudem sucht sich die Zikade fortlaufend neue Wirtspflanzen: So hat sie bereits die Kartoffel für sich entdeckt und im Jahr 2024 rund 22.000 Hektar befallen. Für die Kartoffel entspricht das rund acht Prozent der gesamten Anbaufläche in Deutschland. Zwiebeln, Sellerie, Rote Beete, Kohl, Möhren sowie teils Rhabarber und Paprika sind ebenfalls schon betroffen. „Die Insekten haben sich massenhaft auf der Zuckerrübe entwickelt und dann vermutlich damit begonnen, benachbarte Pflanzen zu nutzen”, sagt Michael Rostas von der Universität Göttingen. Durch den Befall, so Rostas, verändern sie die Pflanze so, dass sie eine bessere Nahrungsressource für die Zikade darstellt.

Zusammenhang zwischen Klimawandel und Population

„Tatsächlich schauen wir hier einem Insekt bei seiner Evolution zu. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht spannend, für die landwirtschaftliche Praxis jedoch frustrierend. Es geht um Arbeitsplätze und den Verdienst in der Landwirtschaft und der verarbeitenden Industrie und letztlich darum, dass heimische Produkte knapp und teuer werden können“, beschreibt Sabine Andert vom Julius Kühn-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Braunschweig, die aktuelle Situation.

Die Zikade fühlt sich in warmen Gebieten wohl: „Die Lebensweise der Schilf-Glasflügelzikade zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Temperatur und Flugaktivität. Ist eine gewisse Temperatur-Schwelle im Jahresverlauf erreicht, fliegen die Tiere aus den Überwinterungsbeständen aus und suchen andere passende Wirtspflanzen zur Paarung und Eiablage”, erklärt Andert.

Was bedeutet das für die Verbraucher?

Die gute Nachricht: Bauernverbände und Behörden haben bisher keine Hinweise, dass Stolbur für den Menschen gesundheitsschädlich sein könnte. Auch kommen Kartoffeln und Gemüse mit gummiartiger Konsistenz oder bei Anzeichen von Fäulnis erst gar nicht in den Handel. Aber: Breitet sich die Krankheit weiter aus, könnten Verbraucher im Herbst weniger heimische Kartoffeln bekommen. Der Preis würde steigen.

Schilf-Glasflügelzikade
Eine Schilf-Glasflügelzikade, die im Labor des Pflanzenschutzdienst PSD aufgenommen worden ist.

Und wenn die Zikade noch weit mehr Pflanzen befällt, könnte das Problem noch viel größer werden. „Der Schaden an Kartoffeln und Zuckerrüben in diesem Jahr wurde bereits durch die Larven angerichtet. Das heißt, der Effekt der Insektizide, die die erwachsenen Tiere in diesem Frühjahr getötet und somit an der Paarung gehindert haben, wird möglicherweise erst im nächsten Jahr sichtbar werden“, so Andert. Die Insektizide sind mit einer Notfallzulassung ausgebracht worden, denn es gibt bisher keine ausgewiesenen und lange erforschten Mittel.

Was können die Landwirte tun?

„Es gilt nun also ein Insekt zu kontrollieren, für dessen Bekämpfung kein zugelassenes Insektizid existiert”, so Andert, die aber gleich einschränkt: „Eine vollständige Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade und eine Tilgung der Erreger sind nicht möglich. Ziel aller Maßnahmen bleibt die deutliche Reduktion der Schäden.“

Die Zikade hat zwar natürliche Feinde, aber der Effekt auf die Populationen sei bisher kaum erforscht, erläutert Rostas. „Die Vermeidung von Winterweizenanbau nach Zuckerrüben und eine längere Brache bis April stellen bisher die beste Bekämpfungsmethode dar”, so der Experte. Allerdings sei dies für die Landwirte nicht besonders attraktiv. „Daher suchen wir nach Zwischenfrüchten, die von der Zikade nicht als Wirte genutzt werden können.”

Eine Notfallzulassung von Pflanzenschutzmitteln helfe zwar, so Andert, sie sei aber nur ein Baustein. „Es gibt erste Erkenntnisse aus Modellregionen, dass eine Fruchtfolge ohne Wintergetreide nach Rüben oder Kartoffeln die Zahl der Schilf-Glasflügelzikaden deutlich verringern kann. Das könnte eine kurzfristig wirksame Bekämpfungsmöglichkeit in betroffenen Gebieten sein. Nach heutigem Wissen ist eine sogenannte Schwarzbrache – also ein Acker, der nach der Ernte der Hauptkultur bis zum nächsten Frühjahr ohne Bewuchs bleibt – dabei am effektivsten.“

(osc)