Gräser bieten Vorteile für Wasseraufbereitung

Pilgerstadt senkt Hitze mit Unkraut um knapp 30 Grad

von Arne Draheim

Unkraut vergeht nicht, besagt ein bekanntes Sprichwort. Durch einen bloßen Zufall fand man in Spanien nun heraus, dass Unkraut die Sommerhitze um knapp 30 Grad senken kann. Wie aus einer Zufälligkeit ein modernes Kühlungssystem wurde.

Unkraut: Zu unrecht verteufelt

Cathedral Of Santiago De Compostela And Its Surroundings Aspects of the Cathedral of Santiago de Compostela and its surroundings. This Catholic temple of worship receives thousands of pilgrims every year. March 21, 2023. Santiago de Compostela, La Coruna, Galicia, Spain. Santiago de Compostela, La Coruna, Galicia Spain PUBLICATIONxNOTxINxFRA Copyright: xCristianxLeyvax originalFilename: leyva-notitle230321_npyTa.jpg
Die riesige Fläche der Praça do Obradoiro vor der Kathedrale in Santiago de Compostela heizt sich im Sommer auf bis zu 50 Grad auf.

Für Ángel Panero ist Unkraut mehr Segen als Fluch. Als Stadtplaner und Architekt in der spanischen Pilgerstadt Santiago de Compostela hat er eine interessante Entdeckung gemacht: Er beobachtet die Vegetation, der während der Pandemie unbeabsichtigt freien Lauf gelassen wurde – mit Erfolg. Seitdem das Unkraut die Fugen der Pflastersteine besiedelt hat, kühlt sich die urbane Oberfläche enorm ab.

Ein Wallfahrtsort sucht Abkühlung

Dass sich die mit Granitplatten versiegelte Stadt derart abkühlen kann, war allerdings eher ein Zufallsprodukt. Denn dort wo sonst hunderttausende Pilger pro Jahr unterwegs sind, brach der Tourismus pandemiebedingt zusammen. Die Folge: Wildwuchs konnte sich seinen Weg zwischen den Fugen bahnen. Statt Pflastersteinen waren auf der Fläche der Praça do Obradoiro plötzlich vereinzelte grüne Flecken zu erkennen. Die Stadt fühlte sich deutlich kühler an, so Panero.

Mittels Wärmebildkameras wurde der Kühleffekt schließlich bestätigt. Die Platten sind seither unter gleichen Bedingungen bis zu 28 Grad kühler als noch vor der Pandemie. Grund für den starken Temperaturabfall ist die Fotosynthese des Unkrauts – Wasser verdunstet dabei über die Blatter und kühlt die Umgebung ab. Allerdings eignet sich tatsächlich nicht jede Pflanze für diesen Effekt. Welches Unkraut ausreichend Kühlung im städtischen Kontext garantiert, Sauerstoff produziert und CO2 binden kann, wird derzeit in einem abgelegen Teil von Santiago de Compostela getestet.

Die Stadt spart Geld: Vorteile für die Wasseraufbereitung

Cathedral. Santiago de Compostela. La Coruña province, Spain.
Auch an Denkmäler und Wandskulpturen haben sich Gräser, Moose und Flechten gebildet.

Die Erkenntnisse der Versuchsreihe sollen anschließend im Stadtkern von Santiago de Compostela einfließen. Dort findet seit der COVID-19-Pandemie ein Umdenken statt: Ging bisher ein Pflasterstein zu Bruch, wurde er durch einen neuen ausgetauscht. Das ist nicht nur aufwendig sondern auch teuer – insbesondere dann, wenn die Fläche aus knapp 60.000 Quadratmetern Granit besteht.

Statt Fugenmörtel und Neuanfertigungen sollen in Santiago de Compostela fortan Pflanzen wuchern dürfen. Das bringt zugleich zahlreiche Vorteile mit sich: Biologische Vielfalt und ein optimierter Wasserhaushalt. Schließlich verfügt der Wallfahrtsort über ein nicht getrenntes Abwassersystem. Regenwasser und Abwasser der Haushalte gelangen ungetrennt in die örtliche Kläranlage, wie Panero dem Wissensmagazin Spektrum erklärt. Die anschließende Aufbereitung von Trinkwasser ist demnach nicht nur aufwendig sondern auch teuer. Mit jeder neuen Pflanze, die in der galicischen Stadt gedeiht, wird Regenwasser im Boden gebunden. Das spart der Gemeinde jede Menge Geld und kühlt zudem den Boden. Um welche Summen es sich dabei handelt, soll ebenfalls mit den Ergebnisse des Experimentierfeldes geklärt werden.

Ein Pilgerort für den Klimaschutz

Was in Santiago de Compostela derzeit getestet wird, könnte für viele Städte weltweit künftig von Bedeutung sein. Dafür braucht es allerdings wissenschaftliche Erkenntnisse – Wildwuchs allein verspricht nicht den gewünschten Kühlungseffekt. Denn nicht alle Mikrogräser nehmen Wasser und Energie auf, einige von ihnen sind sogar schädlich. Deshalb werden die Gräser, Moose und Flechten nun kategorisiert.

Folgt nun das große Umdenken? Jein, denn nicht jeder Stadtbewohner ist von den Plänen überzeugt, verrät der Architekt. Allerdings: Statt es zu jäten, kann Unkraut nun sogar zu einem wichtigen Instrument im Kampf gegen den Klimawandel aufsteigen. Damit könnte Santiago de Compostela künftig sogar zum Pilgerort für Stadtplaner, Architekten und Landschaftsarchitekten werden.

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(rdr)