Was passiert, wenn der Golfstrom abreißt?
Verwirrung um Studie zum Golfstrom - Umwälzzirkulation stabil oder vor dem Ende?
Der Golfstrom ist maßgeblich für das milde Klima in weiten Teilen Europas verantwortlich. Doch er schwächelt. Studien zeigten, dass die Strömungen im Nordatlantik seit 1950 um etwa 15 Prozent schwächer geworden sind, und der Golfstrom möglicherweise noch in diesem Jahrhundert völlig zusammenbrechen könnte. Eine neue Studie sieht unsere „Warmwasser-Heizung“ nun aber doch stabil. Was ist wirklich los mit dem Golfstrom und was passiert, wenn er kollabiert?
Im Video oben seht ihr, was den Golfstrom ausbremst
Zusammenbruch des Golfstroms droht nach wie vor
Die Atlantische Umwälzströmung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, kurz AMOC) transportiert warme Wassermassen aus dem Südatlantik und aus den Tropen an der Meeresoberfläche nach Norden und kaltes Wasser in tausenden Metern Tiefe nach Süden. Diese Strömung ist entscheidend für das milde Klima in West- und Mitteleuropa sowie in Teilen Nordeuropas.
Mehrere Studien gelangten zu der Überzeugung, dass der Golfstrom immer schwächer wird. Eine neue nannte die AMOC nun aber resilient. Dem widersprechen viele Forschende: „In den Modellen kollabiert die atlantische Zirkulation AMOC nicht komplett. Jedoch reduziert sie sich trotzdem sehr stark, was einem Zusammenbruch in einigen Modellen sehr nah kommt“, sagt Jens Terhaar von der Universität Bern. „Es ist wichtig zu betonen, dass sich die AMOC selbst beim Verhindern eines Kollapses um bis zu über 80 Prozent abschwächen könnte, was global verheerende Folgen hätte und zur Abkühlung in Europa, zur Veränderung tropischer Niederschlagsmuster und ganz besonders zur Verschiebung der Monsunsysteme in Südamerika, Afrika, und Asien führen könnte.“
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„Abschwächung der AMOC in diesem Jahrhundert ist sicher“
Auch der Professor für Physik der Ozeane, Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), sieht die Gefahr eines kollabierenden Golfstroms nicht gebannt: „In der neuen Studie wird der verbleibende windgetriebene Anteil der AMOC genauer untersucht, was einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Literatur darstellt. Sie ändert jedoch nichts an der Einschätzung des Risikos und der Auswirkungen künftiger AMOC-Veränderungen als Reaktion auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung.“
Terhaar von der Uni Bern pflichtet ihm bei: „Die Studie hat gezeigt, dass die AMOC nicht komplett verschwinden kann. Jedoch ist eine extreme Abschwächung möglich. Ob es dann am Ende ein Kollaps oder eine sehr starke Abschwächung ist, macht für die Auswirkungen dieser Veränderung kaum einen Unterschied. Beides wäre mit extremen Folgen verbunden und man sollte alles unternehmen, um dies zu vermeiden“, sagt er.
„Alles in allem würde ich sagen, dass eine Abschwächung der AMOC in diesem Jahrhundert sicher ist und eine äußerst starke Abschwächung sehr wahrscheinlich ist. Nur wenn die Temperatur stabilisiert wird, kommt die AMOC in Modellen wieder zu ihrer alten Stärke zurück.“
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Gründe für die Abschwächung der Atlantischen Umwälzströmung

Mitverantwortlich für die Abschwächung ist der zunehmende Süßwasserzufluss durch
- das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds
- zunehmende Niederschläge
- mehr Wasser aus Flüssen
- das schmelzende Meereis
Warum? Süßwasser ist leichter als Salzwasser und verringert die Tendenz des Wassers im Nordatlantik, von der Oberfläche in größere Tiefen abzusinken. Und genau das ist einer der Antreiber der großen Umwälzung. Auch die Erwärmung an der Oberfläche verringert die Dichte und schwächt so die AMOC.
Da bisher völlig unklar ist, wie viel Wasser durch den schmelzenden grönländischen Eisschild in den Atlantik kommt, sind auch die Vorhersagen unklar. Doch selbst wenn wir aufhören, Treibhausgase in die Atmosphäre zu pusten, wird das Eis noch lange schmelzen.
Was passiert bei uns ohne den wärmenden Golfstrom?
Ein Zusammenbruch wäre für uns sehr unangenehm: Während der Rest der Welt sich durch die Umleitung der atlantischen Wärme sehr schnell dramatisch erwärmt, wird es in Europa gleichzeitig drastisch kälter. Bei der im Modell ermittelten Abkühlung von 3 Grad pro Jahrzehnt würde es keine 20 Jahre dauern, bis wir in Europa die Voraussetzungen für eine neue Eiszeit geschaffen haben.
Neben dem sehr schnell um bis zu einen Meter steigenden Meeresspiegel würden nicht nur extreme Kältewellen mit weit zweistelligen Minusgraden regelmäßig bis in den zentralen Nordatlantik und Mittelmeerraum vordringen. Treffen sie dort auf weiterhin relativ warme Meerestemperaturen sowie relativ heiße Luftmassen aus der Sahara würden durch die enormen Gegensätze extreme Stürme entstehen, ähnlich dem, was man heute auf Island kennt. In Skandinavien und Mitteleuropa würde Landwirtschaft vielerorts schwer bis unmöglich, viele heute bewohnte Gebirgstäler würden wieder beginnen, dauerhaft zu vereisen und durch die dramatisch sinkenden Temperaturen nähmen auch die Niederschläge vor allem auf dem europäischen Festland stark ab.
Wie erwähnt würde der Rest der Welt sich allein durch diese Verschiebungen ebenso schnell um bis zu zwei Grad erwärmen, die weitergehende menschengemachte Erwärmung noch nicht eingerechnet. Allein dadurch könnten weitere Kipp-Punkte in anderen Klima-Elementen, etwa im Ostteil der Arktis sowie in den Tropen und der Antarktis ausgelöst werden, in der Klimaforschung ist hier auch von einem Kaskaden-Effekt die Rede.
(osc)