Wetterwissen für den Winter

So kann der Polarwirbel Deutschland nachhaltig einfrieren

von Paul Heger

Wintersturm-Warnung, Schild im Schneesturm bzw. Blizzard
Wenn der Polarwirbel schwächelt, wird es in einigen Regionen extrem kalt.

Der Polarwirbel bestimmt maßgeblich das Winterwetter von den USA über Europa bis Asien. Er ist der Hauptgrund für die heftigsten Kaltlufteinbrüche in Deutschland. Wie entsteht der Polarwirbel, welche Wetterlagen löst er aus und wie verändert er sich im Zuge des Klimawandels?

Was ist der Polarwirbel?

Hinweis: Den Polarwirbel gibt es sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel. Wir beziehen uns hier der Einfachheit halber nur auf die Nordhalbkugel.

Der Polarwirbel ist ein riesiges Tiefdruckgebiet über der Nordhemisphäre, das maßgeblich unser Winterwetter bestimmt. Der Wirbel besitzt zwei Teile: Der untere Teil dreht sich in großen Wellen in der Troposphäre. Das ist die unterste Atmosphärenschicht, in der unser Wetter stattfindet. Sein zweiter Teil dreht sich weiter oben in der Stratosphäre. Sie beginnt über dem Pol in rund 6 bis 8 Kilometern Höhe und reicht bis auf 50 Kilometer Höhe.

Aufbau des Polarwirbels: Es gibt einen unteren, troposphärischen und einen oberen, stratosphärischen Polarwirbel
Aufbau des Polarwirbels: Es gibt einen unteren, troposphärischen und einen oberen, stratosphärischen Polarwirbel

Das Zentrum des oberen, stratosphärischen Polarwirbels liegt im Schnitt in 20 Kilometern Höhe über dem Pol. In dieser großen Höhe fehlt die Reibung mit der Erdoberfläche und es ergeben sich sehr hohe Windgeschwindigkeiten von 250 bis teils über 300 Kilometer pro Stunde. Der Wind strömt dabei aus West, entgegen des Urzeigersinns um das Tief bzw. den Nordpol herum.

Die wohl wichtigste Eigenschaft: Der Polarwirbel besitzt ein extrem kaltes Zentrum mit im Schnitt -60 bis -80 Grad! Diese Kälte wird durch das Starkwindband ringsherum quasi gefangen gehalten. Man kann sich das vorstellen, wie bei einem Windvorhang am Eingang eines Kaufhauses, bei dem die Wärme im Gebäude und die Kälte draußen bleibt – eine regelrechte Windmauer.

Wie entsteht der Polarwirbel?

Das wichtigste Merkmal, die Kälte, ist gleichzeitig der Ursprung des Polarwirbels. Im Herbst schwindet im hohen Norden die Sonne und die Luft kühlt sich immer mehr ab. In der Stratosphäre befindet sich zudem viel Ozon, dass im Sommerhalbjahr mit dem Sonnenlicht reagiert und die Luft stark erwärmt. Im Winterhalbjahr bleibt diese chemische Reaktion aus und die Luft kühlt zusätzlich massiv aus.

Damit entsteht in der Stratosphäre ein starker Temperaturgegensatz zwischen Pol und südlicheren Regionen. Diesen Gegensatz will die Natur durch Wind ausgleichen, aber der warmer Südwind kann durch die Erdrotation nicht einfach in den kalten Norden strömen. Er wird wird nach rechts abgelenkt und es entsteht der oben beschrieben Westwind. Das passiert so lange, bis die Sonne am Pol im Frühjahr wieder scheint, die Stratosphäre sich erwärmt und sich der stratosphärische Polarwirbel auflöst. Im Sommer gibt es keinen stratosphärischen Polarwirbel.

Südwinde werden auf dem Norden durch die Erdrotation nach rechts abgelenkt (Corioliskraft). Dadurch werden sie zu Westwinden.
Südwinde werden auf dem Norden durch die Erdrotation nach rechts abgelenkt (Corioliskraft). Dadurch werden sie zu Westwinden.

Zugegeben, wie das Windsystem der Erde funktioniert, ist nicht einfach zu verstehen. Wir wollen uns deswegen nicht in Details verlieren. Ein paar weiterführende Infos gibt es hier: Das ist die Corioliskraft und so funktioniert sie.

Wie interagieren Polarwirbel, Jetstream und unser Wetter?

Da es verschiedene Atmosphärenschichten unterschiedliche Temperaturgegensätze gibt, gibt es auch verschiedene Starkwindbänder. Auch der Jetstream, der unsere Tiefs und Hochs und damit das Wetter lenkt, ist solch ein Starkwindband, aber weit unterhalb des stratosphärischen Polarwirbels an der Grenze zwischen Stratosphäre und Troposphäre. Gleichzeitig verläuft er in großen Wellen weiter südlich, genau über Europa oder den USA.

Und damit nochmal kurz zur ersten Grafik: Dieser Jetstream ist im Winter fast gleichzusetzen mit dem unteren, dem troposphärischen Polarwirbel. Trotz der unterschiedlichen Höhen sind beide Starkwindbänder miteinander verbunden. Ändert sich oben etwas, dann mit etwas Zeit auch unten und umgekehrt. Dadurch beeinflusst der Polarwirbel in großen Höhen das Wetter bei uns „unten“ vor der Haustür.

Was passiert bei einem schwachen Polarwirbel oder Polarwirbel Split?

Ist der (stratosphärische) Polarwirbel stabil, dann ist er mehr oder weniger kreisrund und besonders kräftig mit großen Windgeschwindigkeiten. Auch in den unteren Schichten der Atmosphäre spürt man das durch einen kräftigen Jetstream. Er treibt die Tiefs schnell von West nach Ost, womit im Mittel Westwinde das Wetter bestimmen. In diesem Modus ist es bei uns wechselhaft und mild, teilweise stürmisch. Das ist der Normalzustand des Polarwirbels, der bei uns kaum richtiges Winterwetter ermöglicht. Die Kälte bleibt durch den kräftigen Westwind in den polaren Gebieten gefangen.

Schema des Polarwirbels der NOAA: Ein stabiler Polarwirbel bringt uns kräftige Westwinde und hält die Kälte im Norden gefangen. Ein schwacher Polarwirbel sorgt für Wellen mit Süd- und Nordwinden und schiebt dadurch Kälte weit nach Süden und Wärme nach Norden.
Ein stabiler Polarwirbel bringt uns kräftige Westwinde und hält die Kälte im Norden gefangen. Ein schwacher Polarwirbel sorgt für Wellen mit Süd- und Nordwinden und schiebt dadurch Kälte weit nach Süden und Wärme nach Norden.

Schwächt sich der Polarwirbel ab, verliert er seine kreisrunde Form. Blickt man von oben auf den Pol, erinnert er dann eher an eine Aubergine oder Banane. Der Wirbel kann sich sogar teilen, auch Polarwirbel Split genannt. Dabei verändert sich in der Regel auch der Jetstream. Er wird langsamer und verläuft in größeren Wellen. Man kann sich das wie bei einem Fluss vorstellen: Je langsamer er strömt, desto stärker mäandriert er. Dort, wo der Jetstream weit nach Süden ausgreift, entstehen Kältebeulen voll mit arktischer Luft (s.o.). So entstehen die fiesen Arctic Outbreaks, die extrem kalte Luft in gemäßigte Breiten wie zu uns nach Deutschland bringen – möglich gemacht durch einen schwachen Polarwirbel.

Bringt ein schwacher Polarwirbel immer Kälte?

Nein! Wie man auf der Grafik weiter oben sieht, gibt es die kalten Beulen gen Süden, aber auch Warmluftströme nach Norden als Ausgleich. Diese können so heftig sein, dass es selbst im tiefsten, dunklen polaren Winter Tauwetter gibt. Ein Schwacher Polarwirbel erzeugt also vielmehr sehr sicher Extremwetterereignisse – kalte wie warme, übrigens auch trockene wie nasse/schneereiche.

Wie kann man die Stärke des Polarwirbels vorhersagen?

Wettermodelle berechnen den Wind in der Stratosphäre. Mittelt man den Wind über den polaren Regionen, sieht man bei einem starken Polarwirbel starke Westwinde. Bei einem schwachen Polarwirbel gibt es niedrigere Windgeschwindigkeiten aus West. Teilweise dreht sich der Wind sogar um – ein Indiz für einen kompletten Split des Wirbels. Diese Grafiken teilen wir häufiger in unseren Polarwirbelvorhersagen.

Polarwirbelvorhersage kurz erklärt: Dargestellt werden Westwinde in polaren Regionen. Je höher die Geschwindigkeit, desto kräftiger der Westwind und der Polarwirbel. Negative Geschwindigkeiten stehen für Ostwinde und damit für einen zusammengebrochenen Polarwirbel.
Polarwirbelvorhersage: Dargestellt werden Westwinde in polaren Regionen. Je höher die Geschwindigkeit, desto stärker der Westwind und stabiler der Polarwirbel. Negative Geschwindigkeiten stehen für Ostwinde und damit für einen zusammengebrochenen Polarwirbel. Betrachtet werden gleichzeitig unterschiedliche Höhen.

Warum schwächt sich der Polarwirbel manchmal ab?

Das ist bis heute nicht zu 100 Prozent verstanden. Klar ist: Bei einer Abschwächung kommt es in der Stratosphäre zu einer plötzlichen Erwarmung, teils um 50 Grad in wenigen Tagen. Diese Wärme stört den durch Kälte existierenden Polarwirbel massiv. Die Wärmeblase drückt ihn nach links, nach rechts oder teilt ihn komplett.

In den meisten Fällen entsteht diese plötzliche Erwärmung durch einen Impuls von ganz „unten“. Die Wärme von den Meeren, also dem Nordpazifik, besonders aber wohl vom Nordatlantik bis zum Nordmeer vor Skandinavien, bringt das Gleichgewicht regelmäßig ins Wanken.

Wie verändert der Klimawandel den Polarwirbel?

Im Schnitt schwächt sich der Polarwirbel alle zwei Jahre massiv ab. Dabei gibt es eine starke Varianz: In manchen Jahrzehnten war er deutlich stabiler, in anderen instabiler. Das hängt unter anderem mit Schwankungen im Klimasystem wie El Nino und La Nina zusammen.

In den letzten Jahren ist der Polarwirbel auffällig instabiler geworden. Unter anderem Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung gehen davon aus, dass der Klimawandel den Polarwirbel weiter destabilisieren wird. Werden die Meere wärmer, gibt es auch stärkere Wärmeimpulse der Meere in die Atmosphäre. Dabei spielt wohl auch das voranschreitende Abschmelzen des Arktiseises eine große Rolle. Auch wenn die Winter mit dem Klimawandel wärmer werden, kann paradoxerweise genau dieser Wärmeimpuls den Polarwirbel destabilisieren und ein kaltes Extremereignis auslösen.

Verwendete Quellen: wetter.de, dpa, NOAA, DWD, FU Berlin